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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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Zement, Mörtel, Ziegelsteinen, Holzgerüsten, Schotter, Sand ... ungeborenen Häuserkindern. Irgendwo war eine Treppe. Dort führten sie mich hin ... die Treppe hinunter. Hier roch es nach Keller.
    Sie banden mir die Augenbinde los und zogen das Taschentuch aus meinem Mund. Ich konnte wieder sprechen. Und wieder sehen. Ich sagte aber nichts. Sah mich nur um: ein Keller, wie ich vermutet hatte.
    Schlechte Beleuchtung auch hier. Aber anders. Langer Strick. Nein. Nicht zum Aufhängen. Ein Strick bloß, an der niedrigen Kellerdecke angebracht, mit einigen Taschenlampen dran. Grelles Licht. Ja. Aber kein elektrisches. War ja die Baustelle. Wie ich vermutet hatte.
    Froschaugen ... sahen einen breiten Schreibtisch. Und einen Mann ... hinter dem Schreibtisch. Sah ande re Leute vor dem Schreibtisch. Saßen dort im Halbkreis wie die Araber in Jaffa vor dem Bordell der dicken Fatma. Waren aber keine Araber. Manche trugen Khaki. Manche auch nicht. Zwei Männer hatten Glatzen. Die anderen nicht. Sah auch eine Frau. Im hellen Kattunkleid. Kettchen um den Hals. Aber kein Eisernes Kreuz. Sah den Davidstern.
    Irgendjemand schob mir einen Stuhl unter den Arsch.
    Hauptquartier Jankl Schwarz! - Jankl Schwarz sieht nicht so aus, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Ganz anders: Wasserkopf mit Hornbrille ... linkes Auge kurzsichtig, dunkel, Ghettoauge; rechtes Auge weit sichtig, hell, Freiheitsauge ... das eine Auge blickt so ... das andere so ... Vergangenheit und Zukunft hinter derselben Brille ... und wo steckt die Gegenwart?
    Seinen Körper kann ich nicht beschreiben, denn ich sah nur den Kopf ... und die Augen. Und bücken wollt' ich mich nicht. Denn Bücken ist gefährlich.
    Er saß hinter dem Schreibtisch. Der Mann hinter dem Schreibtisch, das war Jankl Schwarz!
    Seine Stimme war etwas heiser. Sicher saß dem noch die Vergangenheit im Hals wie ein Kloß, den er ausspucken mußte.
    Er sagte zu mir: »Herr Finkelstein. Sie haben unlängst die Weltherrschaft des Judentums proklamiert!"
    Ich sagte: »Voraussagend proklamiert!«
    Jankl Schwarz lächelte. Er sah mir gerade in die Froschaugen. Mit dem einen Auge der Vergangenheit und dem anderen Auge der Zukunft. Seine Blicke trafen mich wie Schläge, obwohl das nur ein einziger Blick war.
    Jankl Schwarz sagte: »Das wollen wir gar nicht, Herr Finkelstein.«
    Ich fragte: »Was?«
    »Die Weltherrschaft«, sagte Jankl Schwarz.
    »Was wollen Sie denn, Herr Schwarz?«
    »Den Engländern eins aufs Dach geben!«
    »Und was noch?«
    »Den Judenstaat gründen!«
    »Wo, Herr Schwarz?«
    »Hier, Herr Finkelstein, im Rahmen der historischen Grenzen.«
    »Und dann, Herr Schwarz?«
    »Dann gar nichts, Herr Finkelstein. Dann wollen wir hier leben und unsere Ruhe haben.«
    »Und wie ist das mit den Toren, Herr Schwarz?«
    »Die werden aufbleiben«, sagte Herr Schwarz.
    »Für die Millionen?«
    »Für die ... die da kommen wollen«, sagte Herr Schwarz.
    Jankl Schwarz putzte seine Brille, nahm sie sekundenweise ab und setzte sie dann wieder auf.
    Ich fragte: »Und die Araber?«
    »Das weiß ich noch nicht«, sagte Jankl Schwarz, immer noch lächelnd, aber mit leicht verärgertem Ton, wie mir schien.
    »Wir haben die Bänke im Herzlpark blau-weiß ange strichen«, sagte Jankl Schwarz. »Und wir haben ein Schild angebracht in arabischer Sprache mit der Auf schrift: ›Setzt euch auf die Judenbänke!‹ Wenn die Zeit reif ist, werden alle Bänke im Rahmen der historischen Grenzen blau-weiß angestrichen. Und wir werden überall dieselben Schilder aufstellen. Das ist ein großzü giges Angebot, Herr Finkelstein!«
    »Das ist es«, sagte ich. »Das stimmt. Aber wenn die nicht wollen? Was machen wir dann?«
    »Das weiß ich noch nicht«, sagte Jankl Schwarz.
    »Ein Problem?«
    »Ja«, sagte Jankl Schwarz. »Das ist ein großes Problem.«
    Ich sagte: »So ist das«.
    Und Jankl Schwarz sagte: »Ja. So ist das.«
    Ich bemerkte meinen Lehrjungen, den Motke, zwischen den Leuten im Halbkreis. Hatte ihn übersehen. Also! Der auch! Ein Terrorist!
    »Ihre Vorträge über jüdische Geschichte sind laien haft«, sagte Jankl Schwarz. »Aber Sie tragen mit Enthu siasmus vor, Herr Finkelstein! Und das ist uns aufgefal len!«
    Ich sah, daß Motke grinste. Zwinkerte mir zu. Eine Frechheit! Ein Lehrjunge.
    »Sie waren im KZ, Herr Finkelstein?«
    »Ja.«
    »Auch in Südrußland?«
    »Ja. Das war vorher. 1941.«
    »Das wissen wir nämlich! Sie haben in Ihrem Friseursalon - das heißt: dem Salon des Herrn Schmulevitch - Bemerkungen

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