Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
Vom Netzwerk:
gemächlich, angeblich ins Hinterland ... fuhr aber in die falsche Richtung.
    War meine Schuld. Hatte meinen Kompaß verloren. Das war's.
    Wir fuhren geradeaus, immer geradeaus, und als unsere Kolonne endlich zum Stehen kam ... da standen wir vor dem Suezkanal.
    Sagte zu meinem Fahrer: »Na Jankl (der hieß auch Jankl), glaubst du, daß das der Jordan ist?«
    Und Jankl, mein Fahrer, sagte: »Nein, Itzig (der nannte mich einfach: Itzig), glaube nicht.«
    »Und was soll das sein, Jankl?«
    »Der Suezkanal!«
    Ich verließ meinen Jeep, zog meine Schuhe aus, wusch meine Plattfüße im Suezkanal, ging dann zurück, stieg in meinen Jeep.
    Ich saß in meinem Jeep und überlegte. Wir waren nirgends auf ägyptische Truppen gestoßen. Widerstand war nicht da. Ich könnte meinen Leuten befehlen, den Suezkanal zu überqueren und in Richtung Kairo weiterzufahren.
    Aber was würde dann geschehen? Ich dachte an die politischen Konsequenzen. Ägypten war vorläufig noch englisches Interessengebiet. Auch die Halbinsel Sinai. Ein jüdischer Einmarsch in dieses Gebiet würde England zum Intervenieren zwingen. Konnten wir uns - ein kleines, erst geborenes Land - einen Krieg mit England lei sten?
    Ich sprach mit meinem Fahrer über meine Bedenken. Der sagte: »Im Falle einer englischen Intervention könnte ich meinem Onkel in Amerika telegrafieren. Und der würde im Weißen Haus vorsprechen.«
    »Du meinst, damit die Amerikaner uns zu Hilfe eilen und Truppen herschicken?«
    »Das stimmt«, sagte Jankl, mein Fahrer.
    Ich sagte: »Das werden die Amerikaner nicht machen. Nicht gegen England.«
    »Da hast du eigentlich recht«, sagte Jankl.
    Ich fragte: »Hast du noch einen Onkel in Frankreich, Jankl?«
    »Hab ich«, sagte Jankl. »Aber ich glaube nicht, daß die Franzosen kämpfen werden.«
    Ich sagte: »Hör zu, Jankl. Im Falle einer englischen Intervention würde unserem Verteidigungsminister nichts anderes übrigbleiben, als russische Truppen zu Hilfe zu rufen. Und du weißt doch, was das bedeutet?«
    Jankl nickte. Er sagte: »Ein Dritter Weltkrieg!«
    Das mit der Verantwortungslosigkeit ... das war für mich, den Massenmörder Max Schulz, endgültig vorbei. Ich war jetzt Itzig Finkelstein! Und so gab ich meinen Leuten den Befehl zur ›taktischen Umkehr‹, nicht zu verwechseln mit ›strategischem Rückzug‹.
    Erreichten wieder unsere eigenen Linien. Wurden vorübergehend verhaftet. Begründung: befehlswidriger Vormarsch! Kamen alle vor ein Kriegsgericht. Wurden aber freigesprochen. Begründung: ein Irrtum!
    Die Presse brachte den Vorfall mit Schlagzeilen. Natürlich diplomatisch verbrämt. Es hieß: »Der Generalstab hat den Friseur und Sergeanten Itzig Finkelstein eigenhändig zurückgeholt.« Das war fürs Ausland.
    Ich las verschiedene Zeitungen, las auch Schlagzeilen wie folgende: »Itzig Finkelstein, der Mann mit den Wolfsaugen!« Oder: »Ein jüdischer Held!« Oder: »Judas Makkabäus ist auferstanden!« Oder: »Der Gettojude ist endgültig überwunden!«
    Kurz nach jenem Vorfall wurde ich, Itzig Finkelstein, demobilisiert. Als ich nach Beth David zurückkam, schwelgte die Stadt im Siegesrausch. Überall blauweiße Fahnen. In Fenstern, auf Dächern, Baikonen. Und die Fahnen flatterten lustig im Wind und reckten sich der Sonne entgegen, die müde und abgekämpft hinter den Wolkenluken hervorlugte. Denn es war Regenzeit. Und Wolkenmassen hingen über der Stadt.
    Das war erst der Anfang. Und viel stand noch bevor.
    Als ich zu Hause anlangte, war ich erstaunt. Mira hatte abgenommen. Wir küßten uns lange und innig.
    Mira fragte: »Was ist mit dem Krieg?«
    Ich sagte: »Wir haben den Krieg gewonnen.«
    Mira fragte: »Haben die Araber unterzeichnet?«
    Ich sagte: »Sie werden unterzeichnen.«
    »Einen Friedensvertrag?«
    »Nein.«
    »Was denn?«
    »Ein Waffenstillstandsabkommen.«
    »Und was wird mit dem Frieden sein?«
    »Auf den müssen wir hoffen, Mira."
22.
    Schmuel Schmulevitch ist gestorben. Herzinfarkt!
    Ich ging zu seiner Beerdigung, kaufte mir sogar einen schwarzen Zylinder, obwohl das hier gar nicht Sitte ist.
    Habe mich einige Wochen ausgeruht.  Erst Anfang März, einige Tage nach Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens zwischen uns und den Arabern, meldete ich, Itzig Finkelstein, mich wieder an meinem alten Arbeitsplatz: Friseursalon Schmuel Schmulevitch.
    Der hieß noch immer so.
    War erstaunt, wie sehr sich im Salon alles verändert hatte, seitdem Schmuel Schmulevitch gestorben war. An den Friseursesseln hingen

Weitere Kostenlose Bücher