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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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große Nummern. Nummer eins, Nummer zwei, Nummer drei, Nummer vier und so fort. Extrasessel mit Extranummern standen im Ankleideraum, und zwei Friseursessel ohne Nummern standen je in einer Ecke in der Nähe des breiten Schaufensters.
    Fragte meinen Kollegen Jizchak Spiegel: »Was hat das zu bedeuten?«
    »Eine neue Anordnung von Frau Schmulevitch, Herr Finkelstein.«
    »Eine neue Anordnung?«
    »Ja, Herr Finkelstein. Sehen Sie: Der Friseursessel Nummer eins, der am Fenster, bester Friseursessel im Salon, Fensterplatz, verstehen Sie ... der ist ... für die deutschen Juden reserviert!«
    »Ach so! Und Friseursessel Nummer zwei?«
    »Für Juden aus anderen westeuropäischen Ländern.«
    »Und Nummer drei?«
    »Für die Elite der Ostjuden.«
    »Und wer sind die, Herr Spiegel?«
    »Die russischen und die litauischen.«
    »Und Friseursessel Nummer vier?«
    »Für die übrigen osteuropäischen Juden. Außer den rumänischen.«
    »Und wo sitzen die rumänischen?«
    »Auf dem letzten Sessel der Ostjuden. Auf dem Ses sel Nummer fünf.«
    Ich blickte Jizchak Spiegel entsetzt an. Dachte an die Hausnummer 33-45! Dachte: Aha. Also so ist das!
    Jizchak Spiegel erklärte mir dann, daß auf dem Sessel Nummer sechs die Elite der orientalischen Juden bedient wurde: die Jemeniten. Dann folgten andere; auf dem letzten Sessel, der für die orientalischen Juden bestimmt war, saßen die Marokkaner.
    Jizchak Spiegel zuckte bedauernd mit den Schultern, erläuterte dann den Rest der Reihenfolge, die bis in den Ankleideraum hineinreichte.
    Ich fragte dann noch: »Und wie ist das mit den beiden nummernlosen Sesseln in der Nähe des Fensters?«
    »Der eine ist für die ›Sabras‹ reserviert«, sagte Jizchak Spiegel. »Das sind die Juden, die bereits in diesem Lande geboren wurden, wenn Sie das wissen, Herr Finkelstein . Wir können sie nicht einstufen.«
    »Und der andere, Herr Spiegel?«
    »Der ist für Nichtjuden bestimmt. Für neue nichtjü dische Staatsbürger, auch Ausländer. Wir lassen sie aus Höflichkeit am Fensterplatz sitzen.«
    Hab zu mir gesagt: »Itzig Finkelstein! Noch ist hier nicht alles in Ordnung. Und warum sollte alles in Ord nung sein? So schnell geht das nicht. Wir brauchen Zeit. Und Geduld. Ja, vor allem: Geduld. Ahasver hat zu viel Staub geschluckt. War schließlich 2000 Jahre unterwegs. 2000 Jahre!
    Warten Sie ab! Haben Sie Geduld mit uns! Wir können
Wunder vollbringen. Den Staat haben wir gekriegt . Den
Musterstaat kriegen wir auch noch!
    Denken Sie an die Vögel, die über den jungen Baum- pflanzungen kreisen. Müssen die nicht auch warten? Bis die Bäume erwachsen sind? Warten sie nicht auf das kommende Laub? Und auf die Früchte? Das ist doch nur der Anfang.

Sechstes Buch
I.
    1950: Umgezogen! In die Wohnung des Herrn Bürgermeisters Daniel Rosenberg, des zukünftigen Bürgermeisters von Beth David. Der hatte nämlich eine große Wohnung. Aber Geldschwierigkeiten.
    1951: Wieder umgezogen! In unser neues Häuschen! Im neuen, fertiggebauten, südlichen Stadtteil von Beth David. Einfamilienhaus, große Sonnenterrasse. Anzahlung ... mit meinen schwarzen Dollars, aber auch einheimischem Geld, das meine sparsame Frau auf die hohe Kante gelegt hatte. Hübsches Häuschen. Kann mich nicht beklagen. Haben alles neu eingerichtet, nicht zu teuer, aber geschmackvoll.
    1952: Geld geerbt. Von Miras Onkel aus Mea Scharim , Onkel Abraham Lewinsky, ein Bruder ihrer Mutter, der rechtzeitig ausgewandert war. 1952 nach kurzem Leiden verschieden.
    1953: Den Friseursalon Schmuel Schmulevitch ge kauft! Von wem? Von der Witwe des Schmuel Schmule vitch!
    Nein. Die ist nicht nach Deutschland gezogen. Eine alte, müde Frau. Zog zu ihren frommen Verwandten nach Mea Scharim.
    Ich, Itzig Finkelstein oder der Massenmörder Max Schulz, kam 1953 zu einem Besitz, von dem ich immer schon geträumt hatte. Ich taufte den Laden ... pardon ... den Salon ... selbstverständlich um. Nannte ihn: ›Der Herr von Welt‹, Besitzer Itzig Finkelstein .
    Ob der an der Ecke liegt? Klar. Der liegt an der Ecke. Und zwar: an der richtigen Ecke!
    1954: Den Salon neu eingerichtet. Bequeme Klubsessel für wartende Kunden. Cocktailtische. Rauchständer. Zeitungs- und Illustriertentisch. Wände ... mit Kunstgemälden geschmückt.
    Wegen der Konkurrenz! Kapieren Sie das? Wir waren nicht mehr der einzige Friseursalon. Beth David hat sich nach dem großen Sieg mächtig vergrößert. Neue Häuser, neue Friseurläden, neue Friseursalons.
    Die Konkurrenz! Daß ich nicht

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