Der Nazi & der Friseur
lache! Wer kann schon mit Itzig Finkelstein konkurrieren? Ein Mann, der beliebt ist in dieser Stadt! Den man respektiert! Ein Idealist! Ein Redner! Ein Terrorist! Ein Haganahmann! Ein Frontkämpfer! Einer, der sich im Suezkanal die Füße wusch im Zeichen des Davidsterns! Ein Volksheld! Und noch dazu: ein guter Friseur, ein erstklassiger, ein wahrer Künstler!
Die Nummern! An den Friseursesseln! Weg! Ich hab sie nicht runtergenommen, obwohl ich, Itzig Finkelstein, gegen die Nummern war. Meine Angestellten haben sie runtergenommen! Na, was sagen Sie dazu?
Im Vertrauen gesagt: sowas kann sich nicht durchset zen! Das Volk ist gegen numerierte Friseursessel! Einzelne Friseurläden und Friseursalons führen sie noch. Aber sie werden immer weniger. Verschwinden nach und nach. Noch haben wir keinen Musterstaat. Aber wir basteln daran. Und wir kommen auch vorwärts. Wir sind auf dem Weg.
Nach dem großen Sieg vom Jahre 48-49 und nachdem wir die Tore des Heiligen Landes für alle Juden geöffnet hatten, kam eine Flut von Neueinwanderern ... die erste Million ... der Anfang der vielen Millionen, auf die wir gerechnet, auf die wir gewartet hatten, und die vielleicht eines Tages kommen würden.
Unter den Neuen waren viele Idealisten, Leute vom Schlage Trumpeldors, des einarmigen Helden von Tel Chaj. Es gab aber auch andere. Es gab auch Leute, die sich nicht umstellen konnten, die weder den Willen noch die Kraft dazu hatten. Diese Leute wollten wieder wegfahren: zurück nach Europa oder gar nach Amerika.
Ich bin ein Mensch, der eine Wut kriegt, wenn mir ein Jude sagt, daß es ihm hier nicht gefällt. Manche von diesen Leuten kann ich jedoch verstehen: die ehemaligen Insassen unserer Konzentrationslager. Manche konnten sich wieder erholen, so wie Mira, manche konnten sich aber nicht erholen. Wir hatten sie fertigge macht. Endgültig. Wir töteten ihre Seelen. Was kann man von solchen Leuten erwarten? Begeisterungsfähig keit? Unsinn!
Viele von diesen toten Seelen kamen in meinen Friseursalon. Habe mich dieser Leute angenommen. Sprach mit ihnen über Geschichte, über unsere Mission, über das große Aufbauwerk des jüdischen Volkes, sagte zu ihnen: »Wir brauchen hier jede Hand, jeden Arm und jeden Kopf.« Sagte zu ihnen: »Wer zurückfährt nach Europa, ist ein Verräter!« Sagte zu ihnen: »Und wer zu seinen Tanten und Onkeln nach Amerika fährt, der ist ein Schuft!«
Überzeugt habe ich diese Leute nicht. Aber ich habe sie hypnotisiert. Diese Leute fuhren nicht wieder fort. Sie blieben und halfen uns aufbauen.
Ja. So war das. Und eines Tages ... eines Tages sagte der damals noch zukünftige Bürgermeister DanielRosenberg zu mir: »Herr Finkelstein! Alles spricht sich rum! Auch gute Taten! Sie haben ein gutes Werk getan!« Sagte dann: »Und wenn ich nächstes Mal mit dem Kulturminister Kaffee trinke ... dann werde ich Ihren Namen nicht vergessen.«
Eine bestimmte Zeitungsannonce war für mich das wichtigste Ereignis des Jahres 1954.
Ein vornehmer Friseursalon bezieht selbstverständlich auch ausländische Zeitungen. Und was entdecke ich eines Tages? Eine Annonce. Eine ganz bestimmte Annonce im ›Münchener Beobachter‹:
Friseursalon Anton Slavitzki, Hubert-Rosner-Straße 23, Nähe Stachus, München.
Na, was sagen Sie dazu. Der war also in München. Und sicher auch meine Mutter!
Ob ich den beiden geschrieben habe? Oder sonst irgendwie versucht habe, wieder mit ihnen in Kontakt zu kommen? Nein. So dumm bin ich doch nicht! Bestimmt wurden beide von der Polizei beobachtet. Die wartete doch nur darauf, daß ich, der Massenmörder Max Schulz, eines Tages in eine Falle laufen würde!
2.
Nach dem großen Sieg im Jahre 48-49, dem Sieg des stärkeren Willens, begann sich unser kleines Land hek tisch zu entwickeln. Die Wüste war die Herrschaft der Gojim endlich losgeworden, hatte uns wieder zurück, und wollte nun nicht länger warten, rollte wütend mit den körnigen Sandaugen, fletschte die krustigen Zähne, ließ heiße Winde fahren, kurz: war neidisch auf die schmalen Flecken urbar gemachten Landes.
Das war so und so. Das müssen Sie begreifen. Mit der Wüste ist nicht zu spaßen. Und das sah unsere Regierung auch ein. Großzügige Pläne wurden entworfen, ein neues allumfassendes Aufbauprogramm, das alles in den Schatten stellen sollte, was die alten Pioniere vor der Staatsgründung für uns geschaffen hatten. Die Regierung ließ neue Straßen bauen, die besser waren als die neuen Straßen der alten Pioniere, auch
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