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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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neue Dörfer und neue Städte, die besser waren als die neuen Dörfer und neuen Städte, die die alten Pioniere gebaut hatten. Neue Namen beklecksten die Landkarte, und unsere neuen Chaluzim hatten alle Hände voll zu tun, um es besser zu machen, als die alten es gemacht hatten. Die Wüste schrie nach allem möglichen, aber vor allem nach mehr Bäumen ... auch deshalb, nehme ich an, weil - so heißt es - die Bäume den Regen herbeilocken.
    So war das. Die Wüste schrie. Und unsere neuen Chaluzim hörten den Schrei.
    Ich habe das alles gesehen, habe meine Froschaugen offengehalten. Ich habe gesehen, wie sich hier alles ver änderte, gedieh und wuchs, habe mich über die neuen Städte und Dörfer gefreut, über neue Wiesen und Felder ... und ganz besonders über die frisch gepflanzten Bäume.
    Nein. Ich habe die Bäume nicht mehr gezählt. Hab's nie wieder versucht. Hoffnungslos. Es sind zu viele geworden. Und wer will schon das Kribbeln kriegen? Ich bestimmt nicht!
    1955! Wichtigstes Ereignis: Gründung eines lokalen Tierschutzvereins! Präsident: Itzig Finkelstein!
    Für diese humane Sache habe ich, Itzig Finkelstein oder der Massenmörder Max Schulz, mich damals im Jahre 1955 sehr eingesetzt, und mein Artikel - ein Angriff auf die modernen Hühnerfarmen - erschien in der größten Tageszeitung von Beth David, mit den Schlagzeilen: »Wir fordern die Bewegungsfreiheit der Hühner!«
    Ja. So war das. Im Jahre 1956 ist nicht viel passiert. Außer einem kurzen Krieg, der nur ein paar Tage lang gedauert hat. Ich selbst hab den leider verpaßt - hatte eine Grippe - und als ich wieder aufstand, war der kurze Krieg leider schon vorbei. Notieren Sie: Die Sinai-Kampagne!
3.
    Im Jahre 1957 stellte ich ein Riesenschild ins Schaufen ster des Friseursalons ›Der Herr von Welt‹. Auf dem Schild stand: »Itzig Finkelstein, Erfinder des soeben entdeckten Haarwuchsmittels ›Samson V 2‹.« - Um das Neue mit dem Alten zu versöhnen, stellte ich noch ein zweites Schild daneben, allerdings kleiner, unansehnlicher, mit einem bekannten, wenn auch banalen Rezept für Nachtcreme. Darauf stand: »Itzig Finkelsteins Nachtcreme für Herren, nach dem altbewährten Rezept:
    200 g Bienenwachs
    300 g Walrat
    500 g Lanolin
    500 g Olivenöl 10 g Borax
    10 g Rosenöl
    In den folgenden zwei Jahren hatte sich der Massenmörder Max Schulz einen kleinen Blumengarten angelegt, hatte auch Tomaten, Zwiebeln, Radieschen und Suppengrün im Gärtchen hinter seinem idyllischen Ein familienhäuschen angepflanzt. Ebenfalls hatte Max Schulz sich einen Kaninchenstall angelegt und einen Hühnerstall. Allerdings muß ich an dieser Stelle hinzufügen, daß die Türen des Hühnerstalls, ebenso wie die Türen des Kaninchenstalls, offenstanden und noch -stehen, damit es den lieben Tierchen freisteht, im Stall zu sitzen oder nach Lust herumzulaufen.
    Sonst ist eigentlich nichts Wichtiges passiert, ich meine, in den folgenden zwei Jahren. Erst im Jahre 1960 ... da hatte ich den Ärger ... mit dieser Wiedergutmachungssache.
    Einer meiner Kunden, der Rechtsanwalt Dr. Franz Bauer, ein deutscher Jude, fing eines Tages damit an. Beim Haareschneiden. Sagte: »Herr Finkelstein! Wissen Sie, daß die neue deutsche Regierung im Wirtschaftswunderwesten ... den Juden Wiedergutmachungsgelder zahlt?«
    Ich sagte: »Natürlich weiß ich das.«
    Herr Dr. Bauer sagte dann: »Die Deutschen zahlen für Knochenmehl, Kernseife, Lagerkoller, Durchfall, Todesangst, Sachschaden und so fort. Sogar Berufsscha den, Gesundheitsschaden, Haftentschädigung und so fort. Da können Sie, Herr Finkelstein, als ehemaliger Auschwitzhäftling doch eine Menge herausschlagen!«
    Herr Dr. Bauer sagte dann noch: »Wenn Sie wünschen, kann ich Ihren Fall übernehmen!«
    Mich überlief's heiß und kalt. Wollte doch keine Nachforschungen. Wollte doch keine Listen ausfüllen, Angaben machen, Papiere hervorzaubern, Zeugen suchen, Dokumente beantragen. Das alles wollte ich nicht.
    Ich sagte: »Herr Dr. Bauer. Als stolzer Jude kann ich solche Gelder nicht annehmen. Wie wollen Sie Todesangst in Markstücke umrechnen? Ich will gar nicht davon reden. Nicht mal vom Sachschaden! Diese Gelder stinken nach Knochenmehl! Lassen Sie meine Eltern in Frieden ruhen!« Ich hatte absichtlich laut gesprochen. Und wie schon so oft ... sprach sich die Sache herum.
    Am nächsten Tag trat einer meiner Kunden an mich heran und sagte: »Herr Finkelstein. Als Präsident des Tierschutzvereins von Beth David können Sie doch ebensogut

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