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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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Präsident einer Antiwiedergutmachungsliga sein?«
    Das leuchtete mir ein. Sagte: »Ehrensache!«
    Und der Kunde sagte: »Jawohl, Herr Finkelstein. Ehrensache!«
    Am 3. Februar 1960, gründete ich, Itzig Finkelstein oder der Massenmörder Max Schulz, die ›Antiwiedergutmachungsliga ‹.
    Da unsere Mitgliederzahl leider sehr begrenzt war, inserierte ich einmal wöchentlich in unserer lokalen Tageszeitung. Und, um die Sache anziehender zu machen, besonders für junge Damen, erfand ich, Itzig Finkelstein oder der Massenmörder Max Schulz, den ›Antiwiedergutmachungsherrenschnitt für Damen‹.
    Die Idee verfehlte nicht ihre Wirkung. Junge Damen - allerdings auch welche älteren Kalibers - traten unse rer Bewegung bei, strömten in meinen Friseursalon, um sich vom Präsidenten der Antiwiedergutmachungsliga persönlich den ›Antiwiedergutmachungsherrenschnitt für Damen‹ machen zu lassen. Ein glänzendes Geschäft!
    Der Rechtsanwalt Dr. Franz Bauer, ein guter Kunde von mir, ging leider zur Konkurrenz, schrieb mir aber vorher einen Brief. Schrieb: »Herr Finkelstein! Sie haben diese Gelder abgelehnt und besitzen die Frech heit, aus der Entrüstung Ihrer ›Liga-Mitglieder‹ handfe stes Kapital zu schlagen!«
    Eine Bemerkung! Ich habe meinen Bart abrasiert! Brille fortgeworfen! Vorwand: die brauch' ich nicht mehr; meine Augen haben sich gebessert. Habe mein Haar wieder wachsen lassen! Das ist eisgrau, obwohl ich erst53 bin. Aber so ist das. Ich kann es nicht ändern. Bin auch fett geworden. Und habe ein Doppelkinn. Wer könnte mich noch erkennen?
    Im Jahre 1961 kam mein Vetter aus Polen ... Ephraim oder Froike Finkelstein, ehemaliger Kommunist, jetzt Zionist, der einzige überlebende Sohn von Moische Finkelstein, dem Bruder meines Vaters Chaim Finkelstein. Die Frau meines Vetters und seine 10 Kinder waren vergast worden. Aber mein Vetter hatte wieder geheiratet und hatte jetzt wieder eine Frau und wieder 10 Kinder.
    Sie werden sich vorstellen können, wie Mira und ich uns gefreut haben. Im selben Monat kam noch ein anderer Vetter, und zwar aus Amerika. Der war zufällig hier als Tourist und hatte meine Annonce in der Zeitung gesehen, ebenso wie Froike, mein anderer Vetter, die Annonce gelesen hatte, obwohl der kein Tourist war.
    Haben natürlich groß gefeiert. Werden Sie sich denken können, was? Ein Familienfest wie in Pohodna.
    Mein Vetter Froike sagte: »Deine Mutter schrieb uns mal einen Brief ... vor vielen Jahren ... und da schrieb sie, daß du blond wärst und blaue Augen hättest! Und sie schrieb auch was von deiner geraden Nase!«
    Und ich sagte: »Tja, lieber Froike. Die Jahre gehen eben nicht spurlos vorüber. Die Nase verändert sich, wenn man eins drauf kriegt - und das war im KZ - und das Haar wird mit der Zeit grau, auch wenn's mal blond war ... und wenn man gesehen hat, was ich gesehen hab, lieber Froike, dann werden Blauaugen zu Fischaugen.« Ich fügte scherzhaft hinzu: »Oder zu Froschaugen!«
    Das sah mein Vetter auch ein.
4.
    Wenn wir nur Frieden hätten! Ja. Wenn wir nur Frieden hätten! Den haben wir aber nicht!
    Ich habe Ihnen nie etwas von den arabischen Flüchtlingen erzählt ... von den vielen, die damals geflüchtet sind ... damals, während der ersten großen Entscheidungsschlacht.
    Wir haben sie nicht vertrieben. Im Gegenteil. Wir hatten unsere Bänke blau-weiß angestrichen. Wollten ja, daß sie sich zu uns setzten. Aber die meisten wollten das nicht.
    Viele von ihnen sind damals geblieben. Viele sind geflüchtet. Warum sie geflüchtet sind? Ich weiß es nicht. Vielleicht aus Angst vor Leuten wie Jankl Schwarz, obwohl der Jankl Schwarz ja nicht gegen das Schild war ... Sie wissen doch ... das Schild in arabischer Sprache, das sie aufforderte, sich zu uns zu setzen: auf die blauweißen Bänke!
    Aber jetzt können sie nicht wieder zurück. Wir wollen sie nicht mehr. Das müssen Sie begreifen. Es geht um die blau-weißen Bänke.
    Die wollen nämlich zurück, um unsere blau-weißen Bänke mit ihren eigenen Farben zu bestreichen. Wir wissen das. Und sie wissen das auch. Und das darf nicht sein. Denken Sie mal nach: Wir sind ein kleines Volk. Und wir sind lange gewandert. Und irgendwo müssen die blau-weißen Bänke stehen! Und irgendwo müssen sie stehenbleiben! Denn irgendwo muß ein Ort sein, wo wir selber bestimmen, ob wir das Recht haben zu sitzen ... oder nicht! - Können Sie das begreifen?
    Ich habe Ihnen nie was davon erzählt. Aber ich kann ja nicht alles erzählen. Ich habe Ihnen

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