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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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dann hab ich zu mir gesagt: »Itzig Finkelstein. Eines Tages soll dein Sohn sagen: ›Mein Vater, der Itzig Finkelstein, der war der erste jüdische Soldat, der die Klagemauer erreicht hat.‹«
    Aber die wollten mich nicht. Zu alt, haben sie gesagt. Da hab ich meine alte Uniform aus dem Mottenschrank geholt und den verjährten Marschbefehl aus der Schatulle. Und meine Maschinenpistole aus dem Kellerversteck. Und Munition. Und meinen Stahlhelm. UndHandgranaten. Und Proviant aus der Küche. Und auch den alten, zerschossenen Jeep aus der Garage.
    Mira war in Tel Aviv bei meinem Vetter Froike Finkelstein . Zu Besuch. Mira wußte nichts, wußte nicht, daß ich, Itzig Finkelstein, in den Krieg wollte.
    Ich ließ meinen Jeep in aller Eile reparieren und fuhr am nächsten Tage los: in voller Ausrüstung und mit dem Marschbefehl in der Tasche, dem Marschbefehl mit geändertem Datum.
    In aller Früh fuhr ich los. Wollte nach Jerusalem. Über mir hoch oben, flogen Flugzeuggeschwader, neue Jets mit dem Davidstern. Die Sonne war verdunkelt, der Himmel fast unkenntlich. Und die Straßen hier unten waren verstopft von unseren Panzerkolonnen. Ich kam aber durch!
    Als ich durch den Wald der 6 Millionen fuhr, hatte ich eine Panne. Wußte nicht, was das war.
    Hab zu mir gesagt: »Itzig Finkelstein! Was ist das nur? Hast den Jeep doch erst reparieren lassen?«
    Hab zu mir gesagt: »Bis man ihn abschleppt und wie der instandsetzt, ist der Krieg längst vorbei!«
    Hab zu mir gesagt: »Und die Klagemauer längst erobert!«
    Hab zu mir gesagt: »Dieser verdammte Wald! Und diese verdammten Bäume! Die sind dran schuld!«
    Hab zu mir gesagt: »Die 6 Millionen!«
    Hab zu mir gesagt: »Das ist Pech!«
    Hab mich gefragt: »Und wer wird die Klagemauer erobern?«
    Hab zu mir gesagt: »Ein Jude! Kein anderer darf sie erobern!«
    Hab mich gefragt: »Bist du denn kein Jude?«
    Hab zu mir gesagt: »Du bist einer ... aber nicht vom Standpunkt dieser Bäume ... dieser 6 Millionen!"
    Hab zu mir gesagt: »Weil sie allein die Wahrheit wis sen!«
    Hab zu mir gesagt: »Die kannst du nicht zum Narren halten. Obwohl du beschnitten bist. Die wissen genau, wer du bist.«
    Hab zu mir gesagt: »Ja, verdammt noch mal. Die wis sen, daß deine Beschneidung keine Gültigkeit hat. Die wissen, daß die Beschneidung ein Bund mit dem Herrn ist, dem einzigen und ewigen Gott. Und Gott hat mit dir, Max Schulz, nie einen Bund geschlossen!«
    Hab mich gefragt: »Dann weiß es also auch Gott?«
    Hab zu mir gesagt: »Ich scheiß auf Gott!«
    Hab mich gefragt: »Und wer bist du? Wenn du kein Jude bist, kein richtiger?«
    Und hörte die Antwort der Bäume: »Du bist der Letzte. Rangmäßig der Letzte. Unter den Beschnittenen. Und unter den Unbeschnittenen.«
    Hab die Bäume gefragt: »Und warum bin ich der Letzte?«
    Haben zu mir gesagt, die Bäume: »Der Letzte unter den Letzten!«
    Hab die Bäume gefragt: »Und warum? Hab ich etwa anders geschossen oder anders erhängt oder anders erschlagen ... als die Letzten unter den Letzten?«
    Haben zu mir gesagt, die Bäume: »Weil du dich nicht bekennst! Weil du verleugnest! Und dich versteckst! Und noch dazu: hinter den Opfern ... den toten und denen, die überlebt haben!«
    Sicher möchten Sie gerne wissen, ob Mira einen Sohn gebar? Ja. Es war ein Sohn. Der hatte weder Arme noch Beine. Hatte keinen Körper und kein Gesicht. Der hatte nur Augen. Riesige Froschaugen. Und die guckten mich einmal an und schlossen sich dann für immer.
6.
    Das Geisterschiff! Die ›Exitus‹! Die Auferstehung! Erin nern Sie sich? Ein Spuk, dieses Geisterschiff. So wie das Leben. Existiert es oder existiert es nicht? Ist es oder ist es nicht geschehen? War alles bloß ein Traum?
    Ich habe Hanna Lewisohn nie wieder besucht, von Teiresias Pappas bloß ab und zu was in der Zeitung gelesen, Max Rosenfeld nicht wieder gesehen, auch die anderen nicht ... außer einem!
    Ja. Einer von den Passagieren der ›Exitus‹ oder der Auferstehung ist später nochmal aufgetaucht ... nach der Dritten Entscheidungsschlacht ... im Dezember ... Dezember 1967.
    Erinnern Sie sich? Amtsgerichtsrat Wolfgang Richter? Der kleine Amtsrichter aus Deutschland, Jude ohne jüdischen Seelengeruch, roch ein bißchen nach Bier, Stammtisch, Kartoffelklößen und Sauerkraut. Hatte sich damals für mich interessiert. Auch für den Fall Max Schulz!
    Wie der aussah? Können Sie sich wirklich nicht mehr erinnern? Wie Churchill. War auch Zigarrenraucher!
    Eines Tages tauchte er plötzlich in meinem

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