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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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nirgends gesucht. Von keiner Behörde der Welt.
    Die Welt hat mich vergessen. Wer bin ich schon? Max Schulz, ein Oberscharführer! Ein Oberscharführer ... ein Rang, der in anderen Armeen dem Rang eines Sergeanten entspricht. Ein Sergeant also! War Sergeant in der Israelarmee. Und war Sergeant in der SS. Das ist nicht dasselbe. Aber ich bin ein Sergeant. Und ein Ser geant ist nicht wichtig. Auch ein kleiner Fisch ist nicht wichtig. Und ich war doch nur ein kleiner Fisch unter vielen anderen kleinen Fischen. Es gab tausende wie mich, kleine Massenmörder, irgendwo untergetaucht, später. Es gab natürlich auch große, große Fische unter den Massenmördern, deren Namen in den wichtigen Zeitungen Schlagzeilen machen oder gemacht hatten.
    Die Welt hat mich vergessen. Und Amtsgerichtsrat Wolfgang Richter hatte sich gut informiert, mit altdeut scher Gründlichkeit. Eine einzige Zeitung hat über mei nen Tod berichtet. Sonst keine. Nicht wichtig genug. Das ist traurig.
    Hab zum Richter gesagt: »Schade, daß ich den Artikel im ›Warthenauer Stadtanzeiger‹ damals übersehen habe.«
    Und der Richter sagte: »Datiert vom 10. Juni 1947! Da waren wir doch auf hoher See, und dort gab es keine Zeitungen ... mit den letzten Nachrichten!«
    Sagte zum Richter: »Woher wissen die Behörden, daß die Leiche wirklich Max Schulz war?«
    »Weil alles überprüft wurde«, sagte der Richter. »Zeitpunkt des Todes, Ort, Uniform und so fort! Ich könnte Ihnen da als ehemaliger Richter eine Menge sagen, aber schließlich sind das mehr als 20 Jahre her. Nicht mehr wichtig. Vergessen Sie den Vorfall!«
    »Damals waren andere SS-Einheiten im polnischen Wald«, sagte ich hartnäckig ... »zogen durch den polni schen Wald, auf dem Rückmarsch nach Deutschland. Es könnte ja ein anderer SS-Mann gewesen sein?«
    »Es war aber Max Schulz«, sagte der Richter.
    »Es hätte auch Hans Müller sein können«, sagte ich,»der Lagerkommandant, der damals zusammen mit Max Schulz flüchtete. Ja. Warum eigentlich nicht Hans Müller? Der war ja auch dort?«
    »Das weiß ich nicht«, sagte der Richter. »Aber glauben Sie mir als ehemaligem Amtsrichter: die Behörden haben Beweise, daß der Tote Max Schulz war ... und nicht Hans Müller. Dem Urteil der Behörden muß man vertrauen!«
    Ich sagte: »Es war nicht Max Schulz!«
    Und der Richter sagte: »Es ist festgestellt worden! Wollen Sie etwa klüger sein als die Behörden?"
8.
    Im März 1968 fand mein Prozeß statt. An einem Donnerstag! Und das war so:
    Wir - das heißt Mira und ich - haben oft Besuch. Meistens Nachbarn. Ich könnte sie schildern, und ich würde es auch tun, aber ich finde sie langweilig ... und langweilige Leute zu schildern, dazu habe ich, Itzig Finkelstein , im Augenblick keine Geduld. Die einzigen unter den häufigen Besuchern, die nicht langweilig sind ... sind Jizchak Spiegel, der Friseur, mit dem mich Berufsinteressen verbinden und Daniel Rosenberg, der Bürgermeister, der ein wichtiger Mann ist ... aber die brauch' ich ja nicht zu schildern, da Sie die bereits ken nen.
    Am Sonntag kommen die Ruckensteins zu uns, Besitzer eines Kolonialwarengeschäfts, am Montag die Blumentals ... Damenunterwäsche, am Dienstag der Autoschlosser Moische Lewi, der meinen alten Jeep repariert hatte, Mittwoch Jizchak Spiegel und Frau und Freitag Daniel Rosenberg, der Bürgermeister, mit seiner ganzen Familie.
    Das stimmt. Samstag und Donnerstag hab ich absichtlich ausgelassen. Am Samstag oder am Sabbat oder am Schabbat, machen Mira und ich gewöhnlich einen Ausflug. Und am Donnerstag hat Mira, meine Frau, ihr Kaffeekränzchen. Und das fängt nachmittags an und dauert bis zehn Uhr abends. Ich, Itzig Finkelstein oder der Massenmörder Max Schulz, bin da leider ausgeschlossen. Das Kaffeekränzchen ist nur für Damen! Manche mager, manche dick, manche hübsch, manche nicht hübsch, manche noch jung, manche nicht mehr ... Miras Freundinnen.
    Am Donnerstag spiele ich Karten: Romme! Mit Herrn Amtsgerichtsrat Wolfgang Richter. Da Herren am Donnerstag in meiner Wohnung unerwünscht sind ... wegen des Kaffeekränzchens ... spielen wir im Friseursalon ›Der Herr von Welt‹.
    Und das war so:
    Wir spielten Karten. Der Richter und ich. Gegen 9.50 Uhr hörten wir auf, da ich um zehn Uhr ins Bett gehe ... hörten also zu spielen auf, ordneten unsere Karten, legten sie auf den Zeitungs- und Illustriertentisch - auf dem hatten wir nämlich gespielt - und wollten uns gera de zum Fortgehen anschicken ... als der Richter

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