Der Nazi & der Friseur
Friseursa lon auf.
Amtsgerichtsrat Wolfgang Richter ist ein alter, müder Mann. Mindestens achtzig. Oder mehr! Wohnt nichtweit von uns. Lebt von einer Rente und Wiedergutmachungsgeldern. Zog nach Beth David, weil Beth David wie Tel Aviv aussieht, aber kleiner ist, noch immer ist, und nicht so feucht und nicht so lärmend. Entdeckte natürlich meinen Friseursalon ... kann man nicht übersehen ... sah auch meinen Namen ... über der Tür ... und auf den Reklameschildern im Schaufenster ... dach te ... oder ... dachte wahrscheinlich: Aha! Der Itzig Finkelstein!
Amtsgerichtsrat Wolfgang Richter: ein alter, müder Mann.
Und einsam, sehr einsam.
Mira lädt ihn oft zum Abendessen ein. Er tut ihr leid. So ist das. Eingefleischte Junggesellen sind im allgemeinen nicht beliebt, aber wenn sie alt sind wie Amtsgerichtsrat Wolfgang Richter, so alt und müde und einsam, dann erregen sie Mitleid.
Einmal ... während des Abendessens ... sagte Mira zu ihm: »Haben Sie schon Itzigs Sammlung gesehen?«
Und Amtsgerichtsrat Wolfgang Richter sagte: »Nein. Aber das interessiert mich.«
»Itzig ist ein Sammler«, sagte Mira. »Er hat sich einen Mappenschrank angelegt, und zwar mit Mappen in allen möglichen Farben. Hat eine Briefmarkensammlung. Und eine Schmetterlingssammlung. Und andere Sammlungen. Alle möglichen Sammlungen!«
Ich sagte scherzend: »Sammle auch Briefe. Aber die zeige ich nicht. Privatsache.«
»Briefe interessieren mich nicht«, sagte der Richter.
»Die wichtigen in Geheimschrift«, sagte ich. »Kann sowieso niemand lesen.«
»Briefe interessieren mich nicht«, sagte der Richter.
Mira lachte. Sie sagte: »Itzig ist manchmal ein Spin ner."
Nach dem Essen zogen wir uns ins Wohnzimmer zu rück, da wir keinen Rauchsalon haben. Amtsgerichtsrat Wolfgang Richter rauchte eine Zigarre und ich meine gewohnten Camels.
»Erinnere mich«, sagte der Richter. »Sie waren schon auf dem Schiff ein Sammler. Wenn ich nicht irre, sam melten Sie damals Berichte über den Massenmord?«
»Stimmt«, sagte ich. »Die sammle ich immer noch.«
»Sie hatten mir seinerzeit was erzählt ... von einem gewissen Max Schulz?«
Ich nickte. Sagte: »Das stimmt. Ein Massenmörder, den ich persönlich gekannt hab.«
»Ist der geschnappt worden?«
»Der ist nie geschnappt worden.«
Wir rauchten, tranken dann Cognac. Mira war in der Küche. Störte uns nicht.
»Im Jahre 1945«, sagte ich langsam ... »da hab ich einen Artikel entdeckt und ausgeschnitten. Stand allerhand drin über Max Schulz!«
»Und was stand da drin?« fragte der Richter.
»Allerhand«, sagte ich. »Allerhand. Aber das wissen Sie ja! Ich trug den Artikel in der Tasche ... auf dem Schiff ... im Jahre 1947 ... hab Ihnen den Artikel gezeigt ... Sie haben ihn gelesen.«
»Möglich«, sagte der Richter. »Aber das sind schließ lich mehr als 20 Jahre her. Kann mich nicht erinnern, was da drin stand.«
Der Cognac war gut. Französischer Cognac. War erstaunt, der Herr Amtsgerichtsrat Wolfgang Richter, so guten Cognac bei einem Friseur zu trinken. Dem schmeckte der Cognac. Ich erzählte ihm alles, was damals in dem Artikel stand: von den ersten Morden in Polen, dann von den Massenerschießungen in Südruß land, vom angeblichen Herzinfarkt des Max Schulz, von seiner Versetzung ins Hinterland ... zurück nach Polen... ins Hinterland, obwohl ja damals auch Südrußland Hinterland war, erzählte von Laubwalde, dem Konzentrationslager ohne Gaskammern ... und den Massenerschießungen dort, die so ähnlich waren wie die in Südrußland und doch ein bißchen anders. Erzählte von Dokumenten, die man gefunden hatte ... über Laubwal de, erzählte, was in dem Artikel stand, erzählte auch von den ersten Truppen der Roten Armee. Und von der Flucht der SS durch den polnischen Wald. Und von den Partisanen. Und vom letzten Kampf. Und wie die SS damals erledigt wurde. Und daß nur zwei entkamen: der Hans Müller und der Max Schulz. Erzählte ihm alles, was in dem Artikel gestanden hatte.
Ich sagte: »Die Namen der beiden gesuchten Verbre cher tauchten später noch ab und zu auf ... in den Zeitungen ... dann nicht mehr.«
Der Richter rauchte und trank seinen Cognac. Sagte: »Hans Müller interessiert mich nicht. Mich interessiert der Max Schulz!«
Ich sagte: »Mich auch. Nur der Max Schulz!«
Mira kam aus der Küche und setzte sich zu uns, sah aber, daß wir nicht gestört werden wollten und ging wieder fort.
»Sie hatten sich auf dem Schiff sehr für den Fall inter essiert«, sagte
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