Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
Vom Netzwerk:
warme Bauernkate!«
    Der Richter lachte. »Sie haben Fantasie, Herr Finkelstein ! Das kann man wohl sagen! - Und was war in der Kate? Dort war sicher ein polnischer Bauer? Und der hat ihn erschlagen? Stimmt's?«
    Ich sagte: »Sie irren sich. Dort in der Kate wohnte kein Bauer. Sondern eine Hexe. Und die sah Max Schulz. Und dachte, er wäre ein Gott. Aber einer, der keine Macht mehr hatte. Und sie behielt ihn in ihrer Kate, um den machtlosen Gott zu verprügeln. Und zu vergewaltigen! Und zu verhöhnen!«
    »Sie sind verrückt, Herr Finkelstein. Sie gehen zu weit. Sowas gibt es nicht.«
    Ich sagte vorsichtig: »Ich stelle mir das alles nur vor. Nur ... um Ihnen zu beweisen, daß es Möglichkeiten gibt oder gegeben hat ... für Max Schulz, mein' ich ... Möglichkeiten!«
    »Zum Überleben?«
    »Ja. Herr Amtsgerichtsrat!«
    Ich erzählte dem Richter meine Geschichte. Erzählte vom Winter. Und vom Frühling. Und wie ich durch den polnischen Wald gewandert bin ... mit den Goldzähnen im Sack auf dem Rücken ... gewandert ... in Richtung Deutschland. Erzählte von meiner Beschneidung. Erzählte von Max Schulz, der seinen Namen geändert hatte. Erzählte von seinem neuen Namen. Erzählte von Itzig Finkelstein. Erzählte von der Gräfin. Und vom Hotel Vaterland. Und von der ›Exitus‹. Und von der Auferstehung. Erzählte ihm alles. Und als ich geendet hatte, sagte ich: »Herr Amtsgerichtsrat. Ich bin Max Schulz!"
    Das Telefon klingelte.
    Natürlich hab ich ein Telefon! Sogar zwei. Eins zu Hause. Und eins im Laden ... pardon: im Salon! Mir geht's Gott sei Dank nicht schlecht!
    Beim ersten Klingelzeichen stand der Richter auf, riß den Hörer herunter, schrie: »Ach, Sie sind's, Frau Finkelstein! Ja. Wir sind noch hier! Ihr Mann ist verrückt geworden!« Sagte dann etwas ruhiger: »Nein. Sie brau chen nicht herzukommen. Lieber nicht! Ich werde schon mit ihm fertig!"
9.
    Ich sagte: »Stellen Sie sich vor, ich wäre wirklich Max Schulz! Und stellen Sie sich vor ... dieser Friseursalon wäre ein Gerichtssaal! Und stellen Sie sich vor ... ich wäre der Angeklagte! Und stellen Sie sich vor ... Sie wären mein Richter!«
    Ich bin überzeugt, daß der Richter mich tatsächlich für verrückt hielt ... und nur mitspielte, um mich nicht noch mehr zu reizen. Es mochte natürlich auch sein, daß ihm das Spiel Spaß machte, denn ich, Itzig Finkelstein oder der Massenmörder Max Schulz, hatte ihn, den längst im Ruhestand lebenden, alten Mann, noch einmal, zum letzten Mal, in den Richterstuhl befördert; vor allem aber bot ich, Max Schulz, ihm, dem kleinen ehemaligen Amtsrichter ... einen großen Prozeß an: einen Mordprozeß!
    Fragte mich, der Richter: »Und wo sind die Geschworenen? Und wo ist der Protokollführer? Und wo sind die Augenzeugen? Und wo ist der Staatsanwalt? Und wo ist Ihr Rechtsanwalt? Und wo ist der Gerichtsarzt? Und die Polizei? Und das Publikum? Und die Reporter? Und alle anderen?«
    Ich sagte: »Die brauchen wir nicht!«
    »Und warum nicht, Herr Finkelstein?«
    Ich sagte: »Herr Schulz, bitte. Herr Schulz!«
    »Und warum nicht, Herr Schulz?«
    Ich blickte den Richter lange an. Sah ein paar Härchen in den Nasenlöchern und auch in den Ohren, dachte: Die muß ich ihm mal bei Gelegenheit abschnei den. Dachte: Oder gleich jetzt! Zog ihn, den Richter vom Stuhl herunter, schob ihn auf den ersten Friseur sessel am Schaufenster, ergriff eine Schere, schnitt ihm die Härchen ab, aus den Nasenlöchern und von den Ohren, setzte mich dann neben ihn hin, in den zweiten Friseursessel, sagte: »So! Sehen Sie! Der Angeklagte steht nicht vor dem Richter! Er sitzt neben ihm! Sie sitzen nebeneinander: Richter und Angeklagter!«
    »Und was soll das bedeuten, Herr Schulz?«
    »Ein ungewöhnliches Gerichtsverfahren, Herr Amts gerichtsrat. Wir verzichten auf die übliche Prozedur, brauchen keinen Staatsanwalt, keinen Rechtsanwalt und all die anderen. Wir arbeiten zusammen. Als Partner!«
    »Als Partner?«
    »Jawohl, Herr Amtsgerichtsrat. Ich versichere Ihnen, daß ich, Max Schulz, dasselbe Ziel anstrebe wie Sie!«
    »Und das wäre?«
    »Eine Strafe für mich, die meine Opfer zufriedenstellt!«
    Habe ich Ihnen schon von meinem neuen Eisschrank erzählt. Im Ankleideraum. Ja. Dort steht ein neuer Eisschrank.
    Holte eine Flasche Wein. Weißwein. Gekühlt. Erfrischend. Nahm auch zwei Weingläser. Ging zurück in den Salon. Goß ein. Trank mit dem Richter. Sagte: »Wir machen das ganz unkonventionell. Um unsere Partnerschaft zu unterstreichen.

Weitere Kostenlose Bücher