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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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die sie mit Nagellack unterstrich, meistens rotem aber auch rosa, sie ausschnitt und an der langen Wand im Friseurladen anklebte. Über dem Waschbecken, in das Slavitzki pinkelte, klebten Zitate wie: »Blut und Boden ... die Verschwörung des internationalen Judentums ... der beschämende Friedensvertrag von Versailles ... die Schande des Ersten Weltkrieges ... weg mit der Zinsknechtschaft« und so fort.
    Slavitzki und meine Mutter waren doch sonst nie ein und derselben Meinung, aber was den ›Herrn Hitler‹ anbetraf ... wie ihn Slavitzki nannte ... da stimmten sie beide überein. »Er wird uns alle erlösen«, sagte meine Mutter, »er wird sich auch an den Urlaubern rächen, die unseren Keller besudelt haben, den beschämenden Friedensvertrag von Versailles annulieren - wie man so sagt
    - mit der Zinsknechtschaft aufräumen und den unver-
    heirateten Müttern arischer Herkunft mit Stammbaum
wieder zu Ehren verhelfen.«
    Und Slavitzki sagte: »Ja, Minna. Das macht er bestimmt. Darauf kannst du Gift nehmen. Und er wird auch die Juden aus der Schiller- und Goethestraße heraustreiben. Auch den Friseur Chaim Finkelstein.«
    »Weißt du, Anton«, sagte meine Mutter. »Du siehst dem ›Führer‹ wirklich jeden Tag ein bißchen ähnlicher
    - mit deiner Stirnlocke und dem Schnurrbart. Der hatte
übrigens auch so ein langes Ding wie du, obwohl ohne
Gummiband, aber das ist ihm zurückgewachsen, weil er doch ein Vegetarier ist.«
    »Ja«, sagte Slavitzki, »das stimmt."
    »Nur mit deinem Namen stimmt was nicht«, sagte meine Mutter. »Den müßtest du ändern.«
    »Auf den Namen kommt's nicht an«, sagte Slavitzki, »sondern auf das Blut und die Gesinnung. Ich bin doch kein verdammter Pole.«
    »Was bist du denn?« fragte meine Mutter.
    »Ein echter Deutscher und reiner Arier«, sagte Slavitzki.
    »Meine Vorfahren waren Auslandsdeutsche. Daher der polnisch klingende Name.«
    »So - das wußte ich gar nicht«, sagte meine Mutter. »Warum hast du mir das nie erzählt?«
    »Weil ich kein Angeber bin«, sagte Slavitzki.
    »Kannst du das nachweisen - das mit deinen Vorfah ren?« fragte meine Mutter. »Hast du einen Stammbaum?«
    »Kann ich nicht«, sagte Slavitzki. »Aber einen Mein eid kann ich schwören. Und wenn ein echter Deutscher einen Meineid schwört, dann ist das ein echter Meineid.«
    »Ja«, sagte meine Mutter. »Das stimmt.«
    Slavitzki hatte ein gebrauchtes Radio gekauft und beide - meine Mutter und Slavitzki - saßen Abend für Abend am Radio, unterhielten sich über Politik, rechneten sich aus, wann der ›Herr Hitler‹ wohl an die Macht kommen würde, redeten von deutscher Ehre, Blut und Boden, Volk ohne Raum, von unserer Kellerwohnung und der Wohnung Chaim Finkelsteins, von der Würde des deutschen Friseurs ... sogar mit einem Namen der zufällig polnisch klingt ... redeten von der Würde der arischen Mutter mit oder ohne Trauring - »Denn was ist schon ein Ring?« sagte Slavitzki - »Ich scheiß auf den Ring; der ist aus Gold. Und wer hängt am Gold? Das internationale Judentum!«
    Meine Mutter, die jetzt drei Tonnen wog, machte ein Gretchengesicht, nickte mit dem Kopf, stopfte Strüm pfe, legte dieselben zuweilen weg, denn sie strickte auch an einer Wolljacke für Slavitzki, lächelte Slavitzki zu, der seinen Schnaps trank, mit dem langen, schlaffen Glied schlenkerte, verstohlen nach dem gelben Rohr stock Ausschau hielt - nicht mehr nach dem schwarzen, denn ich war ja inzwischen volljährig geworden.
7.
    Habe ich Ihnen mitgeteilt, daß ich Mitglied des Wieshaller Tierschutzvereins war?
    Im Frühjahr 1932 traten einige unter den tonangebenden Mitgliedern der nationalsozialistischen Bewegung bei. Parole: Adolf Hitler liebt die Tierchen! In unserem Vereinslokal hingen oder klebten eine Menge solcher Wahlsprüche: Weil der Führer die Tiere liebt! Oder: Adolf Hitler liebt die Tiere, und die Tiere lieben ihn! Andere: Das Tier fühlt, wenn es geliebt wird! Wählt den tierliebenden Führer Adolf Hitler! Eines Tages herrschte in unserer Stadt große Aufregung. Es hieß: Der Führer kommt nach Wieshalle, um auf dem Ölberg zu sprechen.
    Kennen Sie den Ölberg? Der heißt so, weil dort einmal jährlich von der Speiseöl-Firma Meyer ein Schüt zenfest veranstaltet wird, eine raffinierte Werbekampag ne für das berühmte Meyer-Speiseöl.
    Als der große Tag dämmerte, glich unsere Stadt einem Wallfahrtsort, aber zugleich auch einer belager ten Stadt. Noch nie hatte ich so viele Polizisten gesehen, viele auf Schusters

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