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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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was heißt: Laden? Du meinst den Friseursalon ›Der Herr von Welt‹?«
    »Den mein ich«, sagte Itzig Finkelstein.
    Ich sagte: »›Der Herr von Welt‹ ist eine Goldgrube.«
    »Das stimmt«, sagte Itzig Finkelstein. »Der ist eine Goldgrube.«
  5.
    Slavitzki war natürlich wütend, daß ich bei der Konkurrenz in die Lehre ging, aber meine Mutter sagte: »Der Junge soll was Ordentliches lernen. Und ›Der Herr von Welt‹, das ist ein ordentlicher Friseursalon!« Meine Mutter stand in dieser Hinsicht ganz auf meiner Seite, wehrte Slavitzkis Wutanfälle ab, gab mir Rückendeckung, sozusagen: deckte mich! - Ja. Ich, Max Schulz, ging bei Chaim Finkelstein in die Lehre.
    Itzig und ich waren als Lehrlinge schon ein wenig überaltert, waren ja fast 17 - wurden von den Gesellen gefoppt, verhöhnt, verspottet, verhohnepiepelt, in den Arsch getreten, ausgelacht - aber das störte uns nicht. Die anderen waren bloß neidisch - weil wir gebildet waren, Latein konnten und Algebra und vieles andere, gute Bücher gelesen hatten, dichten konnten und so fort. Die Gesellen nannten uns: ›Professor Itzig! Pro fessor Max!‹ Aber wie gesagt: das störte uns nicht. Wir wußten ja, was wir wollten!
    Was mich betrifft, mich hatte der Friseurberuf schon immer interessiert. Gibt es denn etwas Edleres als den menschlichen Schädel? Und macht es nicht Spaß, das Edle zu formen, zu gestalten, zu verschönen ... weil man gerade bei dieser und ähnlicher Arbeit das Gefühl hat, es könnte auch Spaß machen, das Edle zu zertrümmern? Man ist so nah dran. Mit den Händen. Da juckt es einen manchmal ... so ganz komisch, wissen Sie. Da ist ein Kopf! Und der ist deinen Händen ausgeliefert!
    Ob ich ehrgeizig war? Wollen Sie das wissen? Ich war es. Ich wollte ein guter Friseur werden. Denn »das Frisieren« ist kein gewöhnliches Handwerk. Vor allem aber wollte ich Slavitzki übertreffen, um ihm eines Tages sagen zu können: »Ich, Max Schulz, der Bastard, bin ein besserer Friseur als du!«
    Die Broschüre ›Haarschnitt ohne Treppen‹ wurde meine Bibel, und ihr Verfasser Chaim Finkelstein mein großes Vorbild, mein Lehrmeister.
    Chaim Finkelstein erklärte mir, daß der Mensch hun derttausend und zwei Haare auf dem Schädel habe, die Dickschädel sowohl als die Dünnschädel, jedoch gebe es gewisse Schädel, so sagte Chaim Finkelstein, die hät ten mehr, das sei aber nur bei sehr seidigem Haar der Fall, denn was zu dünn sei und dennoch decken wolle, das müsse schon üppig wachsen, wogegen die Anzahl der Haare bei Kraushaar, also dickem, kräftigem Haar, meistens geringer sei, eine sonderbare Einrichtung des lieben Gottes, der alles richtig verteile, wenn er wolle.
    »Und wenn er nicht will?« fragte ich.
    »Dann eben nicht«, sagte Chaim Finkelstein. »Alles ist in Seiner Hand. Er haucht das Leben ein und bläst es wieder aus. Er ist ein ›Großer Verdecker‹, aber auch ein ›Großer Aufdecker ‹ .«
    »Entstehen deshalb Glatzen?«
    »Deshalb«, sagte Chaim Finkelstein.
    Bei Chaim Finkelstein lernte ich den richtigen »Fassonschnitt ohne Treppen«, lernte unterscheiden zwi schen Haarwasser, Rasierwasser, Gesichtswasser, lernte, daß Tagescreme fettlos sein soll, Nachtcreme dagegen fettreich, lernte, daß ein Schnurrbart mit einer Schnurrbartschere gebrannt wird, lernte das »Richtige Effilieren« mit Effilierschere bei trockenem Haar, bei feuchtem Haar dagegen auch bloß mit dem Rasiermesser.
    Chaim Finkelstein erklärte mir, wie ein ›Herr‹ rasiert werden soll: zuerst heiße Kompressen - Tuch in heißes Wasser tauchen, auswringen, dann die Mitte des Tuches unter das Kinn des Herrn ... ganz egal, ob Spitz- oder Doppelkinn ... langsam die beiden Enden aufrollen, auf die Wangen oder Backen legen auf eine Art und Weise, daß Mund und Nase frei blieben. »Denn der Kunde soll bei uns aufatmen, nicht ersticken«, sagte Chaim Finkel stein.
    Wichtig ist das Einseifen. Gut eingeseift ist halb ra siert. Man kann mit oder gegen den Strich rasieren. Auch beides. Bei Blutungen soll man keinen Alaunstein, sondern Alaunwasser benutzen, weil das hygienischer ist. Selbstverständlich nach beendeter Rasur Gesicht waschen - und zwar gründlich - und dann ... und das ist sehr wichtig ... die Haut mit einer alkoholhaltigen Flüs sigkeit, am besten Eau de Cologne, sorgfältig abreiben.
    Chaim Finkelstein schärfte mir ein, daß ein guter Friseur nie vergessen soll, »sein Messer« zu schärfen. Er erklärte mir, daß es drei Arten von Streichriemen gibt: den

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