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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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Kommunismus nicht heilen.« Herr von Salzstange grinste schwach - sagte dann: »Wenigstens nicht so gründlich.«
    »Wer denn?« fragte ich. »Wer kann sie heilen?«
    »Adolf Hitler«, sagte Siegfried von Salzstange. »Er ist der große Heiler.«
    Mein früherer Deutschlehrer bohrte eine Weile nach denklich in der Nase. Dann sagte er: »Hier sind alle ver sammelt, die irgendwann mal eins aufs Dach gekriegt haben - vom lieben Gott oder von den Menschen.«
    »So«, sagte ich. »So ist das.«
    »Ja, genau so«, sagte Siegfried von Salzstange, » - hier sind die verkrachten Existenzen versammelt - auch die Kurzatmigen und die Arschlecker von Beruf, Leute, die im Leben nicht richtig vorwärtskamen, entweder, weil sie keine Puste hatten und das planmäßige Kriechen nie richtig gelernt hatten, oder weil der Arsch, den sie leck ten, unersättlich war.«
    Mein Deutschlehrer grinste eine Weile verloren. »Und natürlich auch die anderen«, sagte er dann nachdenklich und blickte mich dabei ernst an: » - wie sagte ich doch vorhin: die irgendwann mal eins aufs Dach gekriegt haben - vom lieben Gott oder von den Menschen: die Glatzköpfe zum Beispiel, auch die sind hier versammelt - gucken Sie sich doch mal um - und auch die zu dünnen und die zu dicken, Leute mit zu kurzen Beinen und Leute mit zu langen, die zu alten und die zu jungen, die Perversen ohne Partner und die Impotenten, Leute mit Würgerhänden, die bisher nicht würgen durften, weil ihnen gesagt wurde, sie dürften nur streicheln, auch die Brillenträger sind gekommen und die Brillen trägerinnen, denn ›Er‹ hat gesagt: ›Lasset die Kindlein zu mir kommen!‹ Aber die Kindlein - das sind die Ver hinderten! - Ja, so ist das«, sagte Herr von Salzstange, »vor allem die Verhinderten - die, die gerne mal möch ten und nicht können.«
    »Und warum sind Sie hier, Herr von Salzstange?« fragte ich. »Ihnen geht's doch gut?«
    »Wegen des Pfeffers«, sagte Siegfried von Salzstange.
    »Was für Pfeffer?« fragte ich.
    »Den mir meine Frau jeden Morgen in den Kaffee schüttet«, sagte Siegfried von Salzstange wehleidig.
    »Und warum tut sie das?«
    »Das weiß ich nicht«, sagte Siegfried von Salzstange.
    »Und können Sie da nichts dagegen machen?«
    »Gar nichts«, sagte Siegfried von Salzstange traurig, »gar nichts kann ich machen. Ich schnarche nachts, um mich zu rächen, aber das nützt nichts.«
    »Das ist schlimm«, sagte ich. »Und dabei dachte ich immer - wenn einer so 'ne prima Stellung hat wie Sie, da kann er doch lachen.«
    Herr von Salzstange grinste verzerrt, steckte verlegen eine Zigarette in den Mund, blinzelte abwesend, zerkrümelte die Zigarette mit den Rektorfingern, spuckte sie plötzlich wieder aus, als ob er sich nicht traute, aufdem Ölberg zu rauchen. Ich hätte ihn gerne gefragt: Und warum, Herr von Salzstange, sind eigentlich die anderen nicht auf den Ölberg gekommen, um die Bergpredigt zu hören ... sagen Sie, Herr von Salzstange ... die anderen ... die Vertreter, mein' ich ... Sie wissen schon, was ich meine ... die großen und kleinen und die ganz kleinen ... all die Vertreter verschiedener Interes sengruppen, wie man so sagt, wenn ich nicht irre, lieber Herr von Salzstange, innerhalb und außerhalb unserer schönen deutschen Stadt Wieshalle ... die mit unserem Führer an die Macht schaukeln wollen ... die sind doch sonst immer dabei, wenn ›Er‹ predigt ... ist denn keiner von ihnen verhindert ... und die, die es sind, sind die hier ... und die, die es nicht sind, sind die nicht hier ... und können die sich das überhaupt erlauben ... ich meine: nicht hier zu sein mit den Verhinderten ... oder sind die etwa Autofahrer ... und konnten heute nicht kommen, weil man hierher pilgern muß ... und weil sich das mit dem Auto nicht schickt ... weil das hier doch der Ölberg ist ... und die Predigt eine Bergpredigt ... und warum können Autofahrer nicht ohne Auto pilgern ... haben die etwa alle Plattfüße ... Aber ich habe doch auch Plattfüße! Und haben Sie auch Kopfschmer zen, Herr von Salzstange? Ist das von der Sonne? Die ist verdammt heiß. Und ich dürfte gar nicht hier rumstehen ... in der Sonne, mein' ich ... wegen meines Dachschadens ...
    Aber dann wurde ich weggedrängt. Und als ich zu Herrn von Salzstange zurückfand, machte er mir ein Zeichen, zu schweigen.
    Ich weiß nicht, wieviele Millionen Verhinderter damals auf dem Ölberg versammelt waren, aber ich dachte mir, wenn das der liebe Gott sieht von dort oben, dann muß das hier

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