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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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Werbeschild nicht genügte, half Slavitzki ein bißchen nach, spielte sozusagen den Werbeleiter der Firma Minna Schulz und Co. - pflanzte sich zuweilen drohend auf der anderen Straßenseite auf ... gegenüber ... vor dem Friseursalon ›Der Herr von Welt‹, stand dort im fleckigen Friseurkittel mit Hakenkreuzbinde am Arm, ein furchterregender Apostel des Dritten Reiches, und brüllte die Kunden, die zu Chaim Finkelstein wollten, mit Donnerstimme an: »Was! Ihr laßt euch bei einem verdammten Juden die Haare schneiden! Wollt ihr etwa den Volksfeind unterstützen? Steht ihr hinter unserem Führer Adolf Hitler? Oder nicht? Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns!«
    Die Ängstlichen strömten in unseren Laden. Die Mutigen blieben bei Chaim Finkelstein.
    Mir selbst, Itzig Finkelstein, damals noch Max Schulz, ging es gut. Ich arbeitete bei Slavitzki. Wir hat ten jetzt bessere Kundschaft, und Slavitzki brauchte einen guten Friseur. Er brauchte mich. Ich verdiente gut, kriegte hohe Trinkgelder, denn keiner unserer Kun den wagte es, einem SS-Mann und Träger der schwarzen Uniform sein Trinkgeld zu beschneiden. Ich konnte mich also nicht beklagen.
10.
    Die Juden! Die hatten es schlecht bei uns. Wir, das Neue Deutschland, zeigten den Juden, was es heißt, wenn einer kein dickes Blut in den Adern hat, sondern bloß Wasser. »Denn so das Blut wässerig ist, wie sollte es da nicht verdunsten!« - Wir, das Neue Deutschland, entfernten sie aus Schlüsselpositionen und staatlichen Ämtern, schüchterten sie tüchtig ein, erpressten sie, ent eigneten nach und nach ihren Besitz und verdrängten sie aus den meisten Berufen. Die Juden wurden aus der Wehrmacht und dem Arbeitsdienst ausgestoßen, öffent lich verhöhnt mit Hilfe von Presse, Radio, Film und sonstigen Mitteln, die uns damals zur Verfügung standen. Ihre Fratzen erschienen auf Litfaßsäulen und dem Titelblatt des ›Stürmers‹. Der Pöbel schlug ihnen die Schaufenster ein und warf Stinkbomben in ihre Ge schäfte. Juden wurden auf offener Straße verprügelt und durften sich nicht beschweren. Juden wurden unter irgendeinem Vorwand verhaftet und verschwanden für einige Zeit oder für immer. Das waren schlimme Zeiten für die Juden. Und doch war das nichts im Vergleich zu den Ereignissen, die da kommen sollten, ein Vorspiel nur, ... das Vorspiel der großen jüdischen Katastrophe. Ich selbst war damals bloß ein kleiner Fisch. Ich hatte mich dem Teufel verschrieben, hatte mich mit Stiefeln und Uniform ans Rad der Geschichte gehängt, aber mein ›Gewicht‹ fiel nicht sonderlich ins ›Gewicht‹. Was ist schon ein kleiner Fisch? Und was ist schon eine Uni form? Und was sind schon ein Paar Stiefel? Aber Millionen kleiner Fische ... mit Uniform und auch ohne ... mit Stiefeln und auch ohne ... all die kleinen Fische, die damals ›Ja‹ sagten und sich mit mir ans große Glücksrad gehängt hatten - die brachten das Rad in Schwung.
    Ob ich damals schon Juden umbrachte? Wollen Sie das wissen? Nein, damals noch nicht. Erst später. Ich war damals bloß Mitglied. Mitglied der Allgemeinen SS. Wurde geschult. Wurde vorbereitet für meine Mission.
    So war das. Ich war Mitglied. Und ich blieb Mitglied. Die SS ließ mich nicht los. Die brauchte mich genauso wie Slavitzki, der mich immer gebraucht hatte. Die brauchten meine Hände. Und die brauchten auch meinen Hintern, damit er eines Tages herhalten sollte für den Rückschlag des großen Glücksrads, mit dem wir damals Geschichte machen wollten.
    Die Juden in Deutschland wußten, daß sich die Schlinge um ihren Hals immer mehr zuzog. Das heißt: die klugen Juden wußten das. Nur die Dummen unter den Juden glaubten noch im Jahre 1936, daß unsere Regierung von innen her gestürzt werden könnte. Viele Juden wanderten aus oder waren schon ausgewandert. Viele aber auch nicht.
    Was die Juden in Wieshalle anbetraf, das heißt: die Juden in der Goethestraße und die Juden in der Schillerstraße - die blieben. Mit anderen Worten: sie wanderten nicht aus! Hofften sie auf ein Wunder? Ich weiß es nicht.
    Auch die Finkelsteins wanderten nicht aus. Ich mußte mich also getäuscht haben: der Chaim und der Itzig Finkelstein waren dumme Juden, die nicht wußten, was ihnen bei uns blühte. Das galt natürlich auch für Sara Finkelstein, die Frau des Chaim Finkelstein und die Mutter des Itzig Finkelstein.
    Scharführer Franz Sauer konnte damals noch nicht wis sen, daß ich, Max Schulz, im Laufe der nächsten Jahre selber mal Scharführer werden

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