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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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Und wo hört er auf? Und wo steht der liebe Gott? Steht er im Reigen? Oder darüber? Wen sollte ich eigentlich verprügeln?
    Nein. Ich ließ Slavitzki die Stöcke. Ich besorgte mir neue Stöcke, bessere Stöcke ... besser als die alten, als die noch neu waren. Und ich wählte weder gelb noch schwarz, sondern meine eigenen Farben. Ich wollte auch mehr als bloß ein Opfer. Denn was ist schon ein einziges Opfer? Ich wollte ein Opfer für jede Wunde, ein Opfer für jedes höhnische Grinsen, ganz gleich, ob das vom lieben Gott kam oder aus meiner Umwelt.
    Heute kann ich verstehen, warum die Klöße, die wir damals ausspuckten, so weit durch die Luft segeltenund die Unschuldigen trafen, denn wir hatten ja nicht gezielt. Wir hatten sie ja bloß ausgespuckt. Damals verstand ich das nicht.
8.
    Am Tage nach der Bergpredigt trat ich in die Partei des Sohnes der Vorsehung ein, wurde sozusagen Mitglied. Auch meine Mutter. Und auch Slavitzki, der kein Pole mehr war, sondern ein Deutscher. Slavitzki und ich ließen uns auch in den Kampfverband der SA einschreiben, beschlossen jedoch, mit dem Einkauf der vorgeschriebenen Stiefel und Uniformen zu warten, bis der Führer an die Macht kam - denn Stiefel und Uniformen kosteten eine Stange Geld - und eine Stange Geld ist eine Stange Geld - und man konnte nie wissen - und sicher ist sicher.
    Meine Mutter fand das sehr vernünftig. Sie sagte: »Wir lieben den Führer. Aber sicher ist sicher!« Und sie sagte zu meinem Stiefvater: »Was, Anton? Sicher ist sicher?«
    Als es soweit war und Hitler uns bestieg, sozusagen: sich in den Sattel schwang und zu uns sagte: Hüh! ... da rannten Slavitzki und ich in den nächstbesten Laden, kauften zwei schmucke Uniformen und zwei Paar blanke Stiefel, schnallten die Sturmriemen fest, betranken uns, torkelten durch die Straßen, trafen überall Gruppen von Uniformierten, die Volksfeinde verprügelten, halfen dabei, prügelten mit, schwitzten, rülpsten, lachten, onanierten, furzten ... das war ein Heidenspaß, sag' ich Ihnen. Später besorgte Slavitzki eine Einkaufstasche, und wir torkelten gröhlend nach Hause, tratenaber noch nicht in die Kellerwohnung, sondern torkel ten erstmal durch die Goethestraße und durch die Schil lerstraße, schlugen bei Finkelsteins die Scheiben ein ... in der Wohnung und im Geschäft, torkelten dann in den Friseursalon ›Der Herr von Welt‹, schmierten Haken kreuze auf teure Spiegel und kleine Schweineschwänzchen, steckten in unsere Einkaufstasche, was wir konn ten: Gesichtswasser, Rasierwasser, teure Cremes, Seife, auch Pinsel, die modernsten Rasiermaschinen, Scheren, Kämme, Bürsten. Traten den Chaim Finkelstein in den Hintern und auch den Itzig Finkelstein, sagten: »Saujud!« sagten: »Itzig!« Slavitzki brüllte: »Mein Sohn kündigt ab heute! Heil Hitler! Ihr habt ihn verhext! Er sieht wie ein Itzig aus! Ja, verdammt noch mal, ... wie Itzig Finkelstein!«
    Als wir mit unseren Stiefeln und in unseren schmucken Uniformen nach Hause kamen, riß meine Mutter vor Staunen die Augen auf, wackelte mit dem fetten Hintern, kicherte, zeigte ihre mageren Beine, wurde ganz aufgeregt, sagte zu Slavitzki: »Na, Anton, jetzt siehst du wie ein Mann aus.« Und zu mir: »Du auch. Aber such dir einen anderen Hintern.« Und Slavitzki sagte: »Wir haben eingekauft. Auch an dich gedacht. Verschiedene Cremes. Auch eine für den Hintern.« Und meine Mutter sagte: »Mensch, Anton!« Und Slavitzki sagte: »Mensch, Minna!«
    »Was ist mit den Ratten?« fragte ich.
    »Laß die Ratten Ratten sein«, sagte Slavitzki. »Der Führer hat nichts von Ratten gesagt.«
    »Aber von den Juden«, sagte ich. Und ich klappte die Hacken zusammen und sagte: »Der Herr hat sie ver flucht. Und der Fluch ist gefangen. Ich aber bin gekom men, um ihn zu erlösen.«
    »Das hat der Führer gar nicht gesagt«, sagte Slavitzki. »Du spinnst."
    »Und dabei hab ich ihm gesagt, daß er nicht ohne Kopfbedeckung in der Sonne stehen soll«, sagte meine Mutter.
    »Außerdem versteh ich das nicht«, sagte Slavitzki. »Verstehst du das, Minna?«
    »Ich auch nicht«, sagte meine Mutter. »Das ist mir zu hoch.«
    »Er will die Juden ausrotten«, sagte ich.
    »Na und«, sagte Slavitzki. »Hast du vielleicht was dagegen?«
    »Ich habe nur an die Ratten gedacht«, sagte ich, » - an die Ratten in unserer Kellerwohnung. Wenn es keine Juden mehr gibt in der Goethestraße und in der Schillerstraße - dann gibt's doch genug freie Wohnungen?«
    »Ja, verdammt noch mal!« sagte

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