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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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Slavitzki.
    Und meine Mutter sagte: »Jesus, Maria und Joseph!«
    »Dann ziehen wir in Finkelsteins Wohnung«, sagte ich - »und dann sind wir die Ratten los.«
    »Ja, verdammt noch mal!« sagte Slavitzki.
    »Jesus, Maria und Joseph«, sagte meine Mutter.
    »Ich hab mich zwar an die Ratten gewöhnt«, sagte ich, » - hab auch immer mit ihnen gespielt. Aber einmal muß das ja aufhören.«
    »Klar«, sagte Slavitzki.
    »Es gibt auch zweibeinige Ratten«, sagte meine Mutter.
    »Klar«, sagte Slavitzki.
9.
    Wissen Sie, wie das ist, wenn zwei Brüder um die Macht kämpfen? Sie wissen es nicht? Ich weiß es auch nicht genau, denn ich, damals noch Max Schulz, bin der ein zige Sohn meiner Mutter, der Nutte Minna Schulz. Ich habe keinen Bruder.
    Aber bei uns in der Partei, da fand so was Ähnliches wie ein Bruderkampf statt: die Träger der braunen Uniform und die Träger der schwarzen ... die kämpften miteinander um die Macht. Die braune SA und die schwarze SS.
    Slavitzkis Uniform und meine ... die waren braun, oder, um genauer zu sein: hellbraun - und meine Mut ter sagte eines Tages zu uns: »Wie verwässerter Kakao. Hat mir anfangs gefallen, aber jetzt nicht mehr.«
    Und mein Stiefvater Slavitzki sagte: »Na und?«
    »Was wie Kakao aussieht, wird auch durch den Kakao gezogen, sagte meine Mutter. »Paß mal auf! Bald sind die schwarzen Uniformen an der Reihe!«
    Natürlich hatte meine Mutter recht. Nach dem Röhm-Putsch im Jahre 1934 und der Ermordung des ›Großen Braunen‹, legten die Weitsichtigen die braune Uniform ab und zogen sich schwarze an. Nur die Kurz sichtigen taten das nicht - aber die waren ja kurzsichtig.
    Ich war überzeugt, daß meine Mutter recht behalten und daß Deutschlands Zukunft auf keinen Fall braun, sondern schwarz sein würde. Ich wählte also schwarz.
    Einige Wochen nach der Liquidierung des ›Großen Braunen‹ beschloß ich, Itzig Finkelstein, damals noch Max Schulz, mich zur SS versetzen zu lassen. Ich trat auch aus dem Tierschutzverein aus. Ich, Itzig Finkelstein, damals noch Max Schulz, hatte gewählt.
    Mein ehemaliger Deutschlehrer Siegfried von Salz stange hatte einmal zu mir gesagt: »Max Schulz, in der braunen SA findet jeder Platz, der richtig furzen kann. Aber nicht in der SS!« - Denn die SS, das war der Ver band der Schwarzen Puritaner, die Elite des Neuen Deutschlands. Für Mäuschen wie den Max Schulz, die nicht wie Herrenmenschen aussahen, sondern wie Untermenschen ... genau so und nicht anders ... eben so aussahen, als ob sie die Ethik des Völkermords nicht kapieren würden ... gar nicht kapieren ... für die war der Eintritt in die SS alles andere als leicht.
    Was hab ich gesagt? Nicht leicht? Das stimmt. Ich muß hier allerdings hinzufügen, daß gute Beziehungen ... und zwar zu den richtigen Leuten ... im Leben oft eine entscheidende Rolle spielen.
    Ob ich Beziehungen hatte? Wollen Sie das wissen? Natürlich hatte ich Beziehungen! Mein ehemaliger Deutschlehrer Siegfried von Salzstange, der war seit einiger Zeit bei der SS, und der hatte dort was zu melden. Denn Siegfried von Salzstange war der leibliche Vetter des Obergruppenführers Helmut von Schaum beck, eines Mannes, der in Berlin an höchster Stelle saß.
    Siegfried von Salzstange nahm mich unter seine Fitti che ... und er war nicht der einzige, denn zwei ehemalige Kameraden von mir aus dem Tierschutzverein ... die saßen in der Rassenkommission des Schwarzen Korps von Wieshalle.
    Wie alle neuen SS-Kandidaten mußte auch ich, Itzig Finkelstein, damals noch Max Schulz, durch das meckrige Rassen- und Bewährungssieb des SchwarzenKorps. Das war eine qualvolle und zeitraubende Angelegenheit. Aber ich schaffte es. Mein Blut war nicht wässerig und mein Gesicht bloß verhext.
    Slavitzki! Der wollte natürlich auch zur SS. Wollte gerne angeben mit der schmucken schwarzen Uniform und dem Totenkopf auf der Mütze. Aber wer sollte sich für den einsetzen? Die SS lehnte ihn ab. Da stimmte was nicht mit dem Stammbaum. Und auch nicht mit dem langen Glied. Denn das war schlaff. Und das blieb schlaff. Und auch ein fetter Hintern und ein gelber Stock änderten nichts an dieser Tatsache. Was aber schlaff war und schlaff blieb und keinen Willen zeigte, das konnte bei uns sowieso nicht mehr hochkommen.
    Trotzdem ging es Slavitzki und meiner Mutter besser als je zuvor. Meine Mutter hatte an der Tür des Friseurla dens ein neues Schild angebracht und darauf stand: Ari sches Geschäft, Minna Schulz und Co. - Stammbaum vorhanden.
    Da das

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