Der Nazi & der Friseur
liquidiert worden ... von SS-Kameraden, die vor uns zum Einsatz kamen ... liqui diert, sag' ich ... ebenso wie andere deutsch- und reichs feindliche Elemente ... ich meine, dort, in unserem Abschnitt, in der Nähe der neuen russischen Grenze oder nicht weit von dort. Das war ein ruhiger Abschnitt. Unser Abschnitt. Und nichts war dort los. Wir schossen vor Langeweile die Eiszapfen von den Bäumen, legten zuweilen auch ein paar Juden um, weil wir nichts besseres zu tun hatten ... legten die um ... im Wald und auf den Friedhöfen. Alles bloß Fingerübungen. Ich kann mich kaum erinnern, was dort los war ... so wenig war dort los ... in unserem Abschnitt ... in Polen ... damals im Dezember 1939 ...
Da war nur ein Vorfall. Den hab ich nicht vergessen: Wir trieben ein paar Juden auf einen Friedhof, um sie dort zu erschießen. Aber es war der falsche Friedhof. Und dort auf den Gräbern standen Kreuze. Und die Juden standen schlotternd vor den Kreuzen und konnten vor Angst nicht heulen. Und an einem der Kreuze, am kleinsten, schlichtesten Kreuz, da hing Jesus Christus. Und der heulte. Und sagte zu meinem Untersturmführer: »So hab ich das nicht gemeint! Ich hab sie zwar verflucht! Aber ich wollte sie bloß erschrecken! Damit sie sich bekehren!« Und der Herr Jesus heulte und sagte nichts mehr.
Und mein Untersturmführer war wütend und jagte dem heulenden Christus ein paar Kugeln in den Bauch. Und Christus fiel vom Kreuz herunter, war aber nicht tot.
Und da sagte mein Untersturmführer zu mir: »Max Schulz! Machen Sie den falschen Heiligen endlich mundtot. Sie können das besser!«
Das hab ich dann gemacht.
Nachdem ich Christus erschossen hatte, trieben wir die Juden aus dem christlichen Friedhof heraus, weil mein Untersturmführer sagte: »Sicher ist sicher!«
Und ich sagte: »Ja. Das hat meine Mutter gesagt - sicher ist sicher!"
»Man kann nie wissen«, sagte mein Untersturmführer, »so ein Kerl wie dieser Jesus Christus, der ist ein Zauberkünstler. Der kann ganz plötzlich wieder auferstehen.«
Wir trieben die Juden dann auf ihren Friedhof. Dort standen keine Kreuze. Und dort erschossen wir sie. Aber es waren nicht viele.
Toll wurde das erst, als es nach Rußland ging. Einsatzgruppe D im südrussischen Abschnitt. Aber das war ja auch später. Im Jahre 1941.
Wissen Sie, wie man 30 000 Juden in einem Wäldchen erschießt? Und wissen Sie, was das für einen Nichtraucher bedeutet? Dort hab ich das Rauchen gelernt.
Können Sie Kopfrechnen? Können Sie Zahlen blitzschnell addieren? Wenn Sie das können, dann werden Sie wissen, daß das nicht leicht ist, auch für den, der das kann.
Ich habe die Opfer am Anfang gezählt; das hab ich allerdings gemacht, so wie ich als Kind die Pflasterstei ne zählte beim Hinke-Pinke-Hüpfespiel - und man kann sich da ab und zu verzählen. Später ging das nicht mehr. Das war zu mühsam.
Ja. Und was war dann? Dann kriegte ich einen leichten Herzinfarkt ... vom vielen Huren und vom vielen Rauchen, wie ich damals glaubte. Wurde dann ins Hinterland versetzt. Das heißt: noch weiter nach hinten, denn es ging damals noch munter vorwärts und unser Abschnitt in Südrußland: der war ja auch Hinterland.
Ich wurde nach Polen versetzt. War wieder in Polen. Und das kannte ich ja. Dort waren Friedhöfe mit seltsamen Kreuzen. Kennen Sie das Konzentrationslager Laubwalde? Der Ort hatte früher einen polnischen Namen. Aber wir tauften ihn um: Laubwalde!
Ein wunderschöner Ort, umringt von Wald.
In Laubwalde waren 20 0000 Juden. Wir haben sie alle umgebracht. 20 0000! Trotzdem war das ein kleines Lager, denn die meisten Gefangenen wurden gleich nach ihrer Einlieferung kaltgemacht. Das war praktisch. Denn auf diese Weise hatten wir nie zu viele von ihnen zu überwachen. Wie gesagt: ein kleines Lager!
20 0000. Eine Zahl mit fünf Nullen. Wissen Sie, wie man eine Null durchstreicht? Oder zwei Nullen? Oder drei Nullen? Oder vier Nullen? Oder fünf Nullen? Können Sie sich vorstellen, wie man Nullen annulliert? Und zuletzt auch die Zahl 2 ... obwohl das gar keine Null ist? Wissen Sie, wie das gemacht wird?
Ich weiß das, da ich ja damals sozusagen ›mitbeteiligt‹ war, obwohl ich mich heute nicht mehr genau erinnern kann, wieviele Gefangene ich damals erschossen, erschlagen oder erhängt habe. Trotzdem war das eine friedliche Zeit in Laubwalde, wenn man bedenkt, daß andere an der Front waren und ihren Kopf hinhalten mußten.
Dort in Laubwalde tat ich Dienst, bis der Krieg zu Ende war, das
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