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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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würde ... ja sogar: Oberscharführer! Behandelte mich, Max Schulz, den kleinen Fisch, mit väterlichem Wohlwollen.
    Eines Tages sagte Scharführer Franz Sauer am Biertisch zu mir: »Max Schulz! Die Juden in Wieshalle sind dumme Juden. Die wollen nicht auswandern!«
    Und ich sagte: »Jawohl, Scharführer.«
    Mein Scharführer rülpste vom vielen Bier, glotzte mich aus kleinen, schlaublauen Augen an, grinste, dach te vielleicht an den Hintern meiner Mutter oder an sonst was, entfernte unsichtbare Fädchen und Staub ... ja, auch Staub ... von seiner schmucken schwarzen Uniform, rülpste wieder und sagte dann: »Max Schulz! Daß Sie mal vor Jahren bei dem verdammten Juden Finkelstein gearbeitet haben, macht nichts. Was war, das war, stimmt's?«
    »Stimmt«, sagte ich. »Hab dem Juden auch längst gekündigt.«
    Scharführer Franz Sauer nickte. »Und daß Sie mit dem Juden Itzig Finkelstein befreundet waren, macht auch nichts. Was war, das war, stimmt's?«
    »Stimmt«, sagte ich.
    »Ihre Mutter hat mir erzählt, daß der Jude Itzig Finkelstein Sie mal zu seinem Partner machen wollte, stimmt's?«
    »Stimmt«, sagte ich. »Aber daraus ist nie was gewor den. Erstens, weil der alte Finkelstein noch kerngesund ist und zweitens, weil ich Parteimitglied bin.«
    »Stimmt«, sagte mein Scharführer. »Das stimmt.«
    »Stimmt«, sagte ich. »So ist das.«
    Mein Scharführer trank sein Bier, schob die Mütze mit dem Totenkopf etwas zurück und glättete sein schweißiges Haar. »Finden Sie nicht, Max Schulz«, frag te er dann lauernd, »daß es höchste Zeit ist, die Juden in der Goethestraße und die in der Schillerstraße aus ihren Geschäften rauszuschmeißen - sozusagen: die Geschäf te zu arisieren?«
    »Höchste Zeit, Scharführer«, sagte ich.
    »Denn das sind die Straßen deutscher Dichter und Denker«, sagte Franz Sauer.
    »Darauf können wir noch ein Glas trinken, Scharführer«, sagte ich.
    Franz Sauer nickte. Er leerte sein Bier, bestellte noch eins und leerte auch das. Wir schwiegen eine Zeitlang und starrten uns bloß an. Franz Sauer bestellte mehr Bier. Und noch mehr Bier. Sein Durst schien unstillbar. Einmal stand er auf und torkelte hinaus. Als er zurückkam, brüllte er mich besoffen an. »Und was sind das eigentlich für Häuser, dort in der Goethestraße und in der Schillerstraße?«
    »Verwanzt«, sagte ich.
    »Das macht nichts«, sagte Franz Sauer und setzte sich.
    »Wanzen beißen keinen arischen Arsch.«
    »Jawohl, Scharführer«, sagte ich. »Das tun die Wan zen nicht. - Und was ist mit den jüdischen Wohnungen?«
    »Lassen Sie die Wohnungen Wohnungen sein«, sagte Franz Sauer, so wie mein Stiefvater Slavitzki gesagt hatte: Laß die Ratten Ratten sein.
    »Erst mal die Geschäfte«, sagte Franz Sauer.
    »Jawohl, Scharführer«, sagte ich. »Die Geschäfte!«
    »Vor allem das Geschäft - des Juden Finkelstein!«
    »Jawohl, Scharführer«, sagte ich.
    »Sind Sie ein guter Friseur, Max Schulz?«
    »Jawohl, Scharführer«, sagte ich.
    »Und wissen Sie, was der Führer über den arischen Friseur gesagt hat?"
    »Jawohl, Scharführer«, sagte ich. »Der Führer hat gesagt: Ein arischer Friseur ist kein jüdischer Friseur!«
    »Stimmt«, sagte Franz Sauer.
    Franz Sauer rülpste, bestellte mehr Bier, rülpste wie der, ließ Winde fahren, kratzte sich, schlug plötzlich mit der Faust auf den Tisch und brüllte: »Max Schulz! Ich befehle Ihnen - den Friseurladen - des verdammten Juden Finkelstein zu übernehmen!«
    »Das ist kein Friseurladen«, sagte ich. »Das ist ein Friseursalon! Und der heißt: ›Der Herr von Welt‹!«
    »Dann befehle ich Ihnen«, brüllte Franz Sauer und schlug wieder mit der Faust auf den Tisch - »den Fri seursalon ›Der Herr von Welt‹ zu übernehmen!«
    Notieren Sie bitte am Rande: Max Schulz hat den Fri seursalon ›Der Herr von Welt‹, Ecke Goethe- und Schillerstraße nie übernommen! Sein Scharführer war bloß besoffen.
    So war das. Der war bloß besoffen. Gegen die Finkelsteins lag kein Haftbefehl vor - wenigstens damals noch nicht, im Jahre 1936. Und da konnte ich gar nichts machen, obwohl ich den Laden - das heißt: den Salon - gern übernommen hätte. Aber ich konnte die Finkelsteins nicht alleine verhaften, denn ich war ja nur ein kleiner Fisch. Und auch mein Scharführer war nur ein kleiner Fisch, wenn auch damals etwas größer als ich.
    So war das. Wir ließen die kleinen jüdischen Geschäf te in der Goethestraße und die in der Schillerstraße noch eine Zeitlang

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