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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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Gegenwart nicht rau chen - hatte sich auch gleich nach dem Frühstück ›verdrückt ‹, um vor dem Haustor ›eine zu qualmen‹ ... eine Philip Morris, ... und als er jetzt aus der Tür trat, die Amimütze in die Stirn gedrückt, die Hände in den Hosentaschen, vor sich hin pfeifend - bemerkte er Frau Holle, die wartend im Hauseingang stand.
    »Na, Willi«, sagte Frau Holle.
    »Guten Morgen«, sagte Willi.
    »Wann wirst du endlich mal das Loch in meiner Zim merdecke zumauern?«
    »Wenn ich mal Zeit hab«, sagte Willi.
    »Und was ist mit den Kartoffeln?«
    »Was für Kartoffeln?«
    »Die versprochenen.«
    »Wir haben jetzt keine.«
    »So!« sagte Frau Holle. Ihr Gesicht verzerrte sich. »Das ist schließlich mein Haus ... oder nicht? Und wenn ihr schon keine Miete bezahlt... dann wenigstens die Kartoffeln!«
    »Und was ist mit dem Regen - «, sagte der Junge ... »und wo ist die Zimmerdecke? ... aber machen Sie sich keine Sorgen ... Sie kriegen die Kartoffeln, wenn wir sie haben.«
    Frau Holle musterte den Jungen von Kopf bis Fuß. Sie stellte fest: Eine Amimütze, ein sommersprossiges Gesicht, schmutziger Hals, Turnhemd, Landserhose, Sandalen. Sie dachte: vielleicht schon 15? Oder 16? Gera de das richtige Alter! Ihr Gesicht begann sich zu glätten.
    Sie sagte: »Na schön. Bestell deiner Mutter Grüße. Sag ihr: nicht vergessen! Die Kartoffeln, mein' ich. - Und komm mich mal besuchen, wenn du mal Zeit hast ... aber paß auf, daß deine Mutter nichts merkt.«
    Der Junge grinste. Er sagte: »Sie sind zu alt für mich. Außerdem hab ich eine - 'ne junge.«
    »Was heißt - zu alt?« sagte Frau Holle.
    »59«, sagte der Junge.
    »49«, sagte Frau Holle.
    Der Junge lachte. Er sah, daß Frau Holle ärgerlich ausspuckte, sich brüsk umdrehte und forthumpelte. Er wollte ihr noch nachrufen: Und gestern hab ich 'ne Jungfrau gevögelt - für eine Philip Morris ... als ihm plötzlich etwas einfiel.
    »Frau Holle!« Der Junge rannte ihr nach, holte die humpelnde Frau mit wenigen Sätzen ein, hielt sie am Ärmel fest.
    »Na, was ist denn los! 59 hast du gesagt?«
    »War nur 'n Spaß« sagte der Junge.
    »Das sind keine Spaße«, sagte Frau Holle. »Solche Spaße macht nur der Iwan.«
    »Ja«, sagte der Junge.
    »Oder der Ami«, sagte Frau Holle. »Der macht auch Spaße.«
    »Klar« sagte der Junge.
    »Na, was ist los? Was willst du?«
    »Gar nichts«, sagte der Junge. Er fingerte an seiner Mütze herum. »Heute in aller Früh ... hat ein Mann an unsere Tür geklopft. Fragte, ob hier Frau Holle wohnt.«
    »So-o-o-o«, sagte Frau Holle. »Und wer war das?«
    »Er hat keinen Namen genannt«, sagte der Junge. »Ich hab ihm dann gesagt, daß Sie im Keller wohnen.«
    »Na ja«, sagte Frau Holle.
    »Hat er bei Ihnen geklopft?« fragte der Junge.
    »Vielleicht«, sagte Frau Holle. »Ich hab heut aus nahmsweise mal länger geschlafen. Wahrscheinlich hab ich den Kerl nicht gehört.«
    »Ein komischer Kerl war das«, sagte der Junge.
    »So-o-o-o«, sagte Frau Holle.
    »Einer mit Froschaugen«, sagte der Junge.
    »Ich kenne keinen mit Froschaugen«, sagte Frau Holle.
    »Und 'ner Hakennase«, sagte der Junge. »Und wulstigen Lippen. Und schlechten Zähnen.«
    »So einen kenn' ich nicht«, sagte Frau Holle.
    »Sah wie 'n Jude aus«, sagte der Junge.
    »Ich kenne keine Juden«, sagte Frau Holle.
    Frau Holle wollte weitergehen, aber der Junge sagte dann noch: »Die kommen doch jetzt aus den Lagern zurück!«
    »Du meinst - die - die noch da sind?« sagte Frau Holle.
    »Ja«, sagte der Junge, » - haben Sie die Zeitung gele sen?«
    »Ich lese keine Zeitungen«, sagte Frau Holle. »Ist so wieso alles Schwindel.«
    »6 Millionen ermordete Juden«, sagte der Junge.
    »Alles Schwindel, Willi«, sagte Frau Holle.
3.
    Frau Holle bahnte sich humpelnd ihren Weg durch das Trümmerfeld. Hier hatte der Krieg erbarmungslos gehaust. Die Nietzschestraße war noch immer nicht für den Verkehr freigegeben worden, denn mitten auf dem Fahrweg gähnten tiefe Bombentrichter, und zwischen dem Schutt und Geröll der eingestürzten Mauern lagen zerfetzte Fahrzeuge und ausgebrannte Panzer, einge sunken, zum Teil auch umgestürzt und auf dem Rücken liegend wie tote Käfer. Die langen Reihen der Ruinen am Rande des aufgerissenen Gehsteigs standen aufrecht da mit einem stummen Schrei auf den steinernen Lippen, als wäre das der letzte Appell, als wollten sie sich noch einmal von der grellen Sonne zählen lassen, ehe sie sterben durften. Die Sonne gehörte den Siegern.

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