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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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sorgfältig zu. Man konnte nie wissen ... Sie wollte jetzt einkaufen gehen ... auf den Schwarzmarkt. Sie hatte seit gestern Mittag nichts im Magen und ihr war ein wenig übel. »Du wirst eben den Ehering verkaufen müssen«, murmelte sie vor sich hin, während sie mühsam humpelnd nach oben ging - »da kann man nichts machen - wenn Günter das wüßte - na ja, den haben die Russen sicher geschnappt! - und vielleicht kriegst du auf dem Schwarzmarkt ein paar Eier, Brot, Milch, Ziga retten - diese verfluchte ausgebombte Kellertreppe - du wirst dir noch das Genick brechen - das hätte noch gefehlt, jetzt, wo der Krieg vorbei ist - und dieses verfluchte Holzbein - dieses gottverdammte!"
    Als sie oben angelangt war, gerade aus dem Haus tre ten wollte in den warmen Nachkriegsmorgen der deutschen Stadt Warthenau, da hörte sie hinter sich ein Geräusch im Hausflur, hörte eine Tür knarren, hörte jemand leise vor sich hin pfeifen, hörte die Tür zufallen, dachte: das wird Willi Holzhammer sein - drehte sich um und wartete.
2.
    Willi Holzhammers Vater war in Rußland gefallen. Er hatte eine Menge guter Kleidungsstücke hinterlassen, die Willis Mutter alle verkauft hatte. Sogar den blauen zweireihigen Anzug, den sich Willi immer gewünscht hatte. Willi lief jetzt im Turnhemd herum, einer Landserhose, einer Amimütze und trug zu dieser Ausrüstung die alten Sandalen seines Vaters aus dem Jahre 1938, weil seine eigenen nicht mehr paßten.
    Willi Holzhammer war 16, ein langaufgeschossener Junge mit sommersprossigem Gesicht, kurzgeschore nem roten Haar, Stupsnase, kleinen schwarzen Käferau gen und einem breiten Mund, der immer zu grinsen schien. Wenn Willi mal laut lachte, dann konnte man sehen, daß ihm drei Zähne fehlten - drei Vorderzähne. Die hatte er sich selber gezogen. Willi Holzhammer machte sich selten Sorgen. Was ihn am meisten störte, waren die fehlenden Haare auf seiner Brust; die wollten einfach nicht wachsen. Um seine Männlichkeit zu beto nen, hatte Willi sich tätowieren lassen, und zwar: eine nackte Frau mit üppigen Brüsten, sichtbar auf dem linken Oberarm.
    Willi Holzhammer wohnte mit seiner Mutter im Erdgeschoß, direkt über Frau Holles Kellerwohnung. Da die übrigen Etagen des ausgebombten Hauses eingestürzt waren, bildete das Erdgeschoß den letzten Stock. Willi Holzhammers Wohnung hatte keine Zim merdecke und war aus diesem Grund nur für die warme Jahreszeit geeignet. Willi konnte im Bett Sonnenbäder nehmen oder nachts die Sterne beobachten. Im Sommer machte diese Wohnung Spaß. Nur wenn es mal regnete, dann war es weniger gemütlich. Dann deckte Willis Mutter schnell die wenigen Möbel mit Decken und Packpapier zu, und Willi und seine Mutter verkrochen sich in dem alten Zelt - ein Andenken aus Willis Hitler jugendzeit - das stets im Wohnzimmer bereitstand.
    Die Wände des großen Wohnzimmers hielten dicht. Auch der Fußboden bildete keine eigentliche Gefahr und würde voraussichtlich nicht so bald einstürzen. Nur das große Loch im Fußboden neben Willis Bett, das müßte man gelegentlich mal vermauern, aber Willi verschob diesen Vorsatz von einem Tag auf den anderen, denn das Loch im Fußboden war - wie sich Willi ausdrückte — nicht so ohne! Es befand sich schräg über dem einsamen Bett von Frau Holle, und wenn Willi gelegentlich in die Kellerwohnung guckte, dann konnte er so manches sehen, was so mancher gerne gesehen hätte. »So was gibt's nicht mal im Kino«, pflegte Willi gewöhnlich zu sich zu sagen ... und dabei kostete das Kino Geld, während man die Vorstellung in Frau Holles Kellerwohnung gratis zu sehen bekam.
    Heute morgen war Willi Holzhammer schon früh auf den Beinen. Kurz nach 6 war er durch heftiges Klopfen an der Zimmertür geweckt worden: ein Fremder. Einer mit Froschaugen. Fragte nach Frau Holle. - Willi hatte zu ihm gesagt: »Die hat mal im 5. Stock gewohnt. Aber der ist eingestürzt - der und die anderen Etagen. Das sehen Sie doch! Und jetzt wohnt sie im Keller unter uns!« Daraufhin war der Mann davongeschlurft.
    Willi hatte sich dann nicht mehr zurück ins Bett gelegt. Es gab kein Wasser im Haus, und Willi hatte sich gesagt: Besser jetzt in aller Früh Wasser holen, ehe die Menschenschlange zu groß ist. Und er war dann zu der großen Pumpe in der Fleischerstraße gegangen und hatte zwei Eimer frisches Wasser nach Hause gebracht. Seine Mutter hatte ihm ein gutes Frühstück bereitet: klebriges Kriegsbrot, selbstgemachte Marmelade und Ersatzkaffee. Er durfte in ihrer

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