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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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auf den Gehsteig. Ein Krüppel im Rinnstein, dem beide Beine fehlten, blickte neidisch auf ihr gesundes Bein. Neben ihm stand ein kleines, vielleicht 12jähriges Mädchen und schäkerte mit einem amerikanischen Major. Frau Holle wurde heftig gestoßen, stolperte und wäre hingefallen, hätte der Major sie nicht aufgefangen.
    »Sorry«, sagte der Major.
    Frau Holle wußte nicht, was das hieß: »sorry«. Das Wort klang wie: Sorge. Sie grinste den Major verzerrt an. Sie stand schon wieder fest auf beiden Beinen, dem arischen und dem nichtarischen.
    »Wer hat heut keine Sorgen - «, sagte sie zu dem Major. »Stimmt's? Besser Sorgen beim Ami als die Sicherheit beim Iwan. Das sind doch Frauenschänder und Lumpen.«
    Der Major nickte, obwohl er kein Wort Deutsch ver stand. Er sagte etwas zu ihr, in seiner Sprache, in seiner fremden Sprache, und Frau Holle verstand das nicht, nickte aber, weil der Major nickte. Der Krüppel am Straßenrand blickte noch immer neidisch auf ihr gesun des Bein. Frau Holle streckte ihm die Zunge raus. Der Major sah das und lachte.
    »Er darf nicht mit Ihnen reden«, sagte der Krüppel plötzlich, »das ist nämlich gegen die ›Non-fraterniza- tion-Bestimmung‹.«
    »Was heißt das?« fragte Frau Holle.
    »Daß er auch nicht mit Ihnen ins Bett hopsen darf«, sagte der Krüppel und lachte schallend auf und schob sich näher an sie heran und zeigte ihr seine schwarzen Zahnstümpfe.
    Frau Holle wollte gerade sagen: »Sie können mich mal! Und der redet ja auch mit dem kleinen Mädchen«, - kam aber nicht mehr dazu, denn die Menschenmenge drängte sie fort. Der Major ging neben ihr her. Auch das kleine Mädchen. Lang, mager und schlacksig ist der Major, dachte sie. Das sind doch alle Kaugummiheinis! Aber der kaut keinen! Wahrscheinlich einer von der besseren Sorte? Aber alt. Bestimmt schon 60? Und 'ne Bürstenfrisur hat er auch. Aber 'ne graue. Eisgrau!
    »Wollen Sie einen Goldring kaufen?« fragte Frau Holle und zeigte dem Major den Ehering. »Das darf mein Günter nicht wissen. Muß ihn aber verkaufen.«
    Der Major lachte, sagte aber nichts, zeigte ihr bloß seinen eigenen Ehering, starrte eine Weile Löcher in die Luft und fing dann plötzlich wie ein Wasserfall zu reden an - in seiner Sprache, von der sie kein Wort verstand.
    Frau Holle merkte gar nicht, daß sie am Rathaus vor beigingen - eigentlich vorbeigeschoben wurden - von der Menschenmenge - und schließlich am Tor der Hoff nung angelangt waren. Frau Holle blickte sich nach dem kleinen Mädchen um, konnte es aber nicht mehr sehen. Verschwunden, dachte sie. Na ja. Das ist auch besser so. Mit 12 ... da hab ich noch mit Puppen gespielt. - Der Major sagte wieder etwas zu ihr, was sie nicht verstand, und zeigte dann auf den requirierten schwarzen Mercedes, der im Tor der Hoffnung stand, direkt unter dem steinernen Hoffnungsbogen. Als sie an den Wagen herantraten, sprang die Tür auf - die hin tere - und Frau Holle stieg ein, obwohl sie das gar nicht beabsichtigt hatte. Auch der Major stieg ein und nahm neben ihr Platz. Am Lenkrad saß auch so ein Kaugum miheini, bloß jünger als der Major. Auch mit einer Bür stenfrisur. Aber einer blonden. Der Major sprach mit dem Mann am Lenkrad in seiner fremden Sprache und der drehte sich jetzt um und sagte zu ihr im perfekten Deutsch: »Der Major möchte wissen, ob Sie gerne Kon serven essen.«
    »Ja«, sagte sie, »die eß' ich gern. Sind Sie Deutscher?«
    Der Mann am Lenkrad lachte und sagte: »Nein. Aber meine Eltern. Ich bin Amerikaner.«
    »So -«, sagte Frau Holle - »und ob ich gerne Konserven esse. Klar - esse ich gerne.«
    »Der Major möchte wissen, ob er heute nacht bei Ihnen schlafen kann«, sagte der Mann am Lenkrad.
    »Meinetwegen«, sagte Frau Holle. »Was sind das für Konserven?«
    »Cornedbeef«, sagte der Mann am Lenkrad.
    »Ich wollte eigentlich meinen Ehering verkaufen«, sagte Frau Holle.
    »Einen Ehering soll man nicht verkaufen«, sagte der Mann am Lenkrad.
    »Ja, das stimmt eigentlich«, sagte Frau Holle.
    »Ihr Mann ist sicher noch in Gefangenschaft?« fragte der Mann am Lenkrad.
    Und Frau Holle sagte: »Das weiß ich nicht. Der war in Polen. Und ich habe keine Nachrichten.«
    »Was hat er in Polen gemacht?« wollte der Mann am Lenkrad wissen.
    Und Frau Holle sagte: »Das weiß ich nicht.«
    Frau Holle machte sich's bequem, streckte das Holzbein aus, zog das gesunde Bein ein, lehnte sich weit im gepolsterten Sitz zurück, grinste den Major an und dachte: Der braucht nicht zu

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