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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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drin steht - meine Möbel von früher die sind nämlich im Eimer - die haben die Bomben - na ja - und mager bin ich auch, was? Und die Brüste sind wohl zu lang, was? Das hat auch mein Günter gesagt: die hängen bis über den Bauch! Und graue Haare hab ich auch. Aber die kann man färben. Und wenn ich mehr Konserven krieg, dann werd ich auch wieder dicker.«
    Frau Holle grinste den Major an. Der Major nickte, als ob er verstanden hätte, was sie sagte. Er schlurfte jetzt langsam heran, die Whiskyflasche unter dem nack ten Arm, blieb sekundenlang sinnend vor dem Bett stehen, blickte Frau Holle an, die ihm Platz machte, schlurfte dann wieder weg - zum Fußende des Bettes, tat noch einen kräftigen Schluck aus der halbleeren Fla sche, hakte plötzlich, mit einem schnellen, nervösen Griff, das Holzbein los, klemmte es unter den Arm - den anderen Arm - nicht den Arm mit der Whiskyflasche, kam wieder zu ihr zurück und legte das Holzbein zu ihr ins Bett.
5.
    Gestern war ihr Geburtstag, - da hatte sie eben länger geschlafen. Sonst aber weckten die Sommervögel Frau Holle täglich in aller Früh. Zwar hatten die Vögel den Adolf-Hitler-Platz bekleckst - und das war eine Schande - trotz allem aber war Frau Holle den Sommervögeln dankbar, weil sie sich sagte: Morgenstunde hat Gold im Munde! Und wer wagte das zu bezweifeln?
    Auch heute weckte das Gezwitscher der Vögel Frau Holle aus tiefem Schlaf. Aus Gewohnheit beschimpfte sie zuerst das Holzbein, obwohl es diesmal gar nicht an der langen Wand hing, sondern im Bett lag zwischen den Schenkeln des Majors, beruhigte sich aber dann, gähnte, zog das Bein vorsichtig zwischen den Schenkeln des Majors hervor, dachte: sieben Nummern hat der geschoben - und Magenschmerzen hast du von so vie len Konserven - und dabei hast du gar nicht alle geges sen - und 'ne Type ist das - sieben Nummern mit einem Holzbein zu schieben - .
    Frau Holle schnallte das Bein an, humpelte zum Kanonenofen, machte Feuer, guckte nach, ob noch Wasser im Kübel war, fing zu trällern an wie die Sommervögel, holte Geschirr aus der Bettkiste, klapperte damit, machte absichtlich Lärm, damit der Major aufwache. - Aber der wachte nicht auf! Nanu, dachte Frau Holle. Hat der einen tiefen Schlaf!
    Etwas später rüttelte sie ihn, drehte ihn auf den Rücken, sah zwei starre, blaue Augen, rülpste vor Schreck, dachte: sieben Nummern! Und sieben ist 'ne böse Zahl. Und der ist tot! Der ist wirklich tot! Herzschlag! - rülpste wieder, spürte Stechen im Holzbein, hielt sich die Hand vor den Mund.
    Frau Holle wußte nicht, was sie mit dem Toten machen sollte. Am besten, dachte sie, du legst ihn hinter den Kanonenofen. Damit er mal aus dem Bett rauskommt. Sonst wird das Bett noch stinken.
    Frau Holle machte sich gleich an die Arbeit, zog den Toten vorsichtig vom Bett herunter und schleifte ihn über den holprigen Fußboden. So, dachte sie. Der wiegt nicht viel. Die sind doch aus Kaugummi.
    Sie hatte keine Lust zu frühstücken und sagte sich: Erst mal die Behörden verständigen. Frühstücken kannst du später.
    Ihr fiel ein: Ein Telefon! Natürlich. Sie müßte telefo nieren. Am Adolf-Hitler-Platz! Dort ist doch eine Telefonzelle!
    Frau Holle verließ die Kellerwohnung in aller Eile, humpelte zum Adolf-Hitler-Platz, sah die Telefonzelle aus Vorkriegszeiten, die noch dort stand, sah auch das Schild: Außer Betrieb!
    Was sollte sie jetzt tun? Wo konnte man überhaupt heutzutage telefonieren? Und noch dazu in dieser ausgebombten Gegend?
    Frau Holle humpelte verzweifelt über den großen, sommervögelbeklecksten Platz, bog in die Mozartstraße ein, fragte einige Leute. Niemand wußte, wo ein Telefon war.
    Ein Mann sagte zu ihr: »Warten Sie doch, bis die M.P. vorbeikommt.«
    Aber Frau Holle sagte: »Die mit den weißen Helmen und den Armbinden? Die sind nicht besser als der Iwan!"
    Frau Holle humpelte zurück in Richtung Nietzschestraße. Erst mal nach Hause gehen! In Ruhe überlegen, was da zu tun sei! Das ist das beste! Außerdem mußte sie endlich frühstücken. Ein Mensch ist auch nur ein Mensch.
    Als sie wieder zu Hause anlangte, fand sie einen Zettel im Briefkasten: »Bin aus dem Krieg zurück! Bringe Grüße von Günter! Kann nicht lange bleiben! Muß wie der verschwinden! Was macht das Holzbein? Darf ich mal dran pochen? Brauche Glück. Jetzt mehr denn je. Max Schulz.«
    Max Schulz! Der Mann mit den Froschaugen. Der Mann mit der Hakennase, den wulstigen Lippen, den schlechten Zähnen! Der Mann, der wie ein Jude

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