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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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wissen, daß Günter ein Massenmörder ist. Der versteht so was nicht. Du könntest ihm erklären: Das waren Volksfeinde! Und Günter hat bloß seine Pflicht getan! Das war Führerbefehl! Und Befehl ist Befehl! Aber so einer versteht so was nicht. Das sind doch Kaugummiheinis.
    »Hören Sie«, sagte der Mann am Lenkrad jetzt ernst zu ihr: »Der Major gibt Ihnen drei Konservenbüchsen für die erste Nummer, fünf für die zweite, sieben für die dritte. Und so fort. Das nennt man staffeln. Oder: fair play!«
    »Na schön«, sagte Frau Holle. »Aber fragen Sie den Major, ob er das Holzbein gesehen hat.«
    »Das hat er gesehen«, sagte der Mann am Lenkrad. »Aber das stört ihn nicht. Im Gegenteil!«
    »Was soll das heißen?« fragte Frau Holle.
    »Seine Frau in Amerika, die hat zwei Beine«, sagteder Mann am Lenkrad, - »zwei richtige Beine. Aber seine Frau, die taugt nichts, obwohl sie zwei Beine hat.«
    »So -«, sagte Frau Holle. »Was ist das für eine Frau?«
    »Eine Amerikanerin«, sagte der Mann am Lenkrad. »Die liest Zeitung, wenn der Major es mit ihr macht.«
    Frau Holle nickte. »Ich lese keine Zeitungen«, sagte sie dann, »ist doch sowieso alles Schwindel.«
    Der Mann am Lenkrad tat so, als überhörte er das. Er steckte sich eine Zigarette an, blies den Rauch gegen die Windschutzscheibe, wandte sich wieder ganz zu ihr um und sagte: »Hören Sie - der Major hat einen Komplex. Wissen Sie, was das ist?«
    »Nein«, sagte Frau Holle.
    Der Mann am Lenkrad grinste. »Na ja«, sagte er dann zu ihr. »Der Major ist von seiner Frau in Amerika seelisch kastriert worden. Er hat einen Minderwertigkeitskomplex. Und er hat Angst vor Frauen mit zwei Bei nen, - zwei richtigen Beinen. Und er will eine mit einem Bein.«
    »Ist das ein Komplex?« fragte Frau Holle.
    »Ja«, sagte der Mann am Lenkrad. »Das ist ein Kom plex.«
    Jetzt steckte sich auch der Major eine Zigarette an, stammelte irgend etwas, als ob er sich entschuldigen wollte, bot ihr auch eine an, sagte: »Philip Morris!«
    »Philip Morris!« sagte Frau Holle. »Ich nehme eine, rauche sie aber später. Nicht auf nüchternen Magen.« Frau Holle nahm die Zigarette ohne zu danken und ließ sie in ihrer Handtasche verschwinden. Sie beugte sich jetzt weit vor und sagte zu dem Mann am Lenkrad: »Das Bein hab ich noch 1933 verloren ... am Tage, als der Führer an die Macht kam ... das war verfault, haben die Ärzte gesagt ... einfach verfault ... und das fing schon vorher zu schmerzen an ... und so war das ... und Günter hat gesagt ... das haben die Juden verhext und im Winter war das ... und ausgerechnet an jenem Tag ... aber da kann man nichts machen ... das hat auch mein Günter gesagt.«
    »Also wie ist's?« sagte der Mann am Lenkrad. »Sind Sie einverstanden? Wir staffeln?«
    »Na schön«, sagte Frau Holle.
    »Je mehr Nummern, desto mehr Konserven«, sagte der Mann am Lenkrad.
    »Na schön«, sagte Frau Holle. »Der sieht aber nicht aus wie einer, der 'ne Menge Nummern schieben kann. Ist doch bestimmt schon sechzig.«
    »Neunundfünfzig«, sagte der Mann am Lenkrad.
4.
    Sie fuhren bis zur Mozartstraße, Ecke Adolf-Hitler-Platz. Und dort blieb der Mercedes stehen, weil die Fahrbahn zertrümmert und voller Schutt und Geröll war.
    Frau Holle sagte zu dem Mann am Lenkrad: »Es ist nicht mehr weit von hier. Wir können das Stück zu Fuß gehen.«
    Und der Mann am Lenkrad sagte: »O.K.«
    »O.K.«, sagte Frau Holle, obwohl sie gar nicht wußte, was das war.
    »Schade, daß man nicht weiterfahren kann«, sagte der Mann am Lenkrad. »Ich hätte den Major gern bis vor Ihr Haus gebracht. Aber was nicht geht, geht nicht ... Ich werde dem Major sagen, daß ich morgen früh um 10 Uhr hier an dieser Ecke mit dem Wagen auf ihn warte.«
    »O.K.«, sagte Frau Holle, obwohl sie gar nicht wußte, was das war. »Also morgen um 10 hier an der Ecke. Da muß ich ihn schon um 9 aus den Federn jagen.«
    »Ja, tun Sie das«, sagte der Mann am Lenkrad und lach te. Und auch Frau Holle lachte. Und der Major lachte.
    Ehe sie ausstiegen, holte der Major eine große, offene Einkaufstasche unter dem Sitz hervor, und Frau Holle konnte sehen, daß dort nicht nur Konserven, sondern auch Whisky verstaut war. Der Major hängte sich bei ihr ein. Sie gingen langsam, obwohl Frau Holle lieberschneller gegangen wäre, denn ihr Magen knurrte wie ein wütender Hund und ihr war auch wieder schwindlig. Aber der Major ließ sich Zeit.
    »Ein Glück, daß ich den Konservenöffner nicht in Berlin gelassen

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