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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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hab«, sagte Frau Holle. »Den hab ich mitgenommen ... und der stammt noch aus Vorkriegszeiten. Ein prima Konservenöffner.«
    Der Major lachte und Frau Holle sagte: »Ich hab zwar keine richtige Küche. Aber einen Küchentisch, den hab ich. Und dort liegt der Konservenöffner ... nämlich in der Schublade von dem Küchentisch. Und das ist ein Küchentisch, sag' ich Ihnen, ein richtiger! Und ich wohne nämlich im Keller, wissen Sie. Und des wegen hab ich keine richtige Küche und nur einen richtigen Küchentisch. - Und gibt's bei euch dort drüben auch Leute, die im Keller wohnen? Und was sind das dort für Keller? Und hat so 'ne Kellerwohnung bei euch auch eine lange Wand und eine kurze Wand? Und zwei Fenster, von wo man die Straße nur von unten sieht und nicht von oben? Und warum sieht man die Straße nicht von oben? Es sind doch Straßenfenster? Das möcht' ich auch wissen! Und dabei krieg ich ab und zu Besuch, wissen Sie - erst heut früh war ein Mann da und hat mich gesucht. Hat geklopft. Aber ich hab noch geschlafen. Hätt' eben stärker klopfen sollen! Ein Kerl mit Froschaugen war das, hat der junge Willi gesagt. Einer mit Froschaugen und 'ner Hakennase und wulstigen Lippen und schlechten Zähnen - einer, der wie 'n Jude aussieht. Sehen Juden so aus? Möchte gerne wissen, wer das ist? Und kennen Sie nicht zufällig einen mit Froschaugen? Das muß 'ne Type sein.«
    Der Major lachte und nickte und sagte etwas zu ihr in seiner verrückten Sprache.
    Frau Holle schloß die Tür der Kellerwohnung nicht nur zweimal von innen ab, sondern schob auch den eisernen Riegel vor, der verrostet war und quietschte, was Frau Holle schlecht vertrug. Sie verstopfte die Ritzen der Tür mit Packpapier, damit der Kerl mit den Froschaugen, falls er wieder klopfen sollte, nicht in die Wohnung gucken konnte. Dann verhängte sie fürsorglich die beiden gardinenlosen Fenster mit Steppdecken.
    Der Major schien es auf einmal eilig zu haben, denn er hatte sich schon ausgezogen, stand splitternackt neben dem Küchentisch, mit gerecktem Glied, haarigen Beinen, eingefallenem Bauch, eine Whiskyflasche in der Hand, und beobachtete Frau Holle, die geschäftig in der Kellerwohnung hin- und herhumpelte, nochmals die Tür kontrollierte, den Schlüssel probierte, den verrosteten Riegel, das Packpapier in den Türritzen, die Steppdecken vor den Kellerfenstern.
    »What's your name, baby?« fragte der Major.
    »O.K.«, sagte Frau Holle, obwohl sie gar nicht wußte, was das war.
    »How about this wooden leg of yours?« fragte der Major.
    »Sie wundern sich sicher, weil ich die Türritzen verstopft hab«, sagte Frau Holle - »aber das hat nichts mit dem jungen Willi zu tun, obwohl der manchmal hier rumschleicht und durch die Ritzen guckt ... aber der guckt ja sowieso in meine Wohnung ... Sie wissen schon - von oben ... durch die Zimmerdecke ... ich dachte nur - wenn der Kerl mit den Froschaugen wiederkommt ... der wird bestimmt durch die Ritzen gucken. Ich weiß schon, was ich mache. Man kann gar nicht genug aufpassen.«
    Frau Holle kümmerte sich nicht weiter um den Major. Sie deckte bloß das einsame Bett auf, klopfte das Kissen, weil es zerknittert war, dachte: und die Federn gucken schon raus - dachte: und ein steifes Ding hat der - aber ein kurzes - und staffeln will er auch - je mehr Nummern, desto mehr Konserven - und du hast einen Mordshunger - aber mehr als eine kann der bestimmt nicht schieben - mit 59 - oder? Frau Holle begann sich auszuziehen. Es war düster in der Kellerwohnung, aber Frau Holle sagte sich: Gerade die richtige Beleuchtung. Und die Kerze rechts vom Bett wirst du später anzünden. Das hat Zeit.
    Frau Holle faltete ihr Kleid sorgfältig zusammen, legte es über den wackligen Stuhl neben dem Bett, dann die Wäschestücke - einzeln - der Reihenfolge nach -schnallte auch das Holzbein ab und hing es auf - dort, wo es immer hing, wenn sie zu Bett ging - an dem leicht verbogenen Nagel am Fußende des Bettes an der langen Wand.
    Der Major stand noch immer am Küchentisch und trank. Frau Holle hüpfte auf einem Fuß zum anderen Bettende und setzte sich dort hin, fror plötzlich und rieb sich die Schultern. »Viel steht hier nicht drin«, sagte sie zu dem Major. »Sie sehen doch: ein Küchentisch, zwei wacklige Stühle, ein Bett, ein alter Kleiderschrank, ein blinder Spiegel, die Kiste mit der Kerze und eine zweite Kiste - die Kohlenkiste - und der Kanonenofen in der Ecke - den hab ich übrigens organisiert, wie alles andere, was hier

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