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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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... war verdammt auf der Hut ... hatte ja keine Papiere ... und wollte die Goldzähne verkaufen ... ja, das wollte ich ... aber dann hab ich es vorgezogen, zu warten ... abzuwarten. Ja, so ist das«, sagte Max Schulz. »Und dann bin ich eben nach Warthenau gekommen. Sehen Sie ... und jetzt bin ich müde. Ich bin verdammt müde.«
    Sie schliefen nur wenige Stunden. Frau Holle besaß keine Weckuhr. Sie wachte oft auf, aus Angst zu verschlafen, guckte auf die Armbanduhr von Max Schulz, guckte auf die grünen Leuchtziffern, schloß dann beru higt die Augen, schlief wieder ein, um wieder erschreckt aufzuwachen.
    Kurz vor Tag stieß sie Max Schulz an, rüttelte ihn und sagte: »So! Jetzt ist's Zeit, den Toten wegzuschaffen!«
    Max Schulz kroch mit schweren Gliedern aus dem Bett, reckte sich, gähnte, machte drei Kniebeugen, rieb sich den Nacken ... und wurde ganz munter, als Frau Holle anfing, das Holzbein zu beschimpfen.
    Der Major war in der Nacht umgefallen und ein Stückchen über den unebenen Kellerboden gerollt. Tot lag er vor dem großen Bett.
    Max Schulz holte die Rolle Packpapier, rollte sie auf und schob sie unter den Körper des Toten. Dann wickelte er ihn ein. Frau Holle half ihm mit dem Bind faden, machte Schleifchen und Knoten, als wäre das ein Weihnachtspaket.
    Als Max Schulz etwas später mit seinem Paket die Kellerwohnung verließ, öffnete Frau Holle das Fenster, um Max Schulz nachzublicken, aber sie konnte nicht weit sehen.
    Das kommt davon, dachte sie. Weil man unter der Straße wohnt.
    Es kam Frau Holle vor, als ob mit dem ersten Dämmer licht ein Geflüster und Gemurmel durch das Ruinen viertel ging. Die ausgebombten Häuser schienen Flüche zu murmeln, zeigten mit den Mauerfingern nach oben ... gegen den fahlen Himmel, der sie verraten hatte ... wickelten nach und nach den schwarzen Nachtverband ab und zeigten dem neuen Tag ihre Wunden. Mauermünder grinsten die Dämmerung mißtrauisch an, und blinde Maueraugen blickten aus hohlen, scheibenlosen Fenstern zum Horizont.
    Frau Holle wartete auf Max Schulz vor der Haustür. Als sie ihn endlich von weitem erblickte, war die Sonne schon aufgegangen und hatte die zerstörte Nietzschestraße mit einem frischen, gelben Farbton übermalt.
    Auf der Straße waren nur wenige Fußgänger zu sehen, die alle ein wenig müde aussahen und scheinbar ziellos geradeaus gingen. Es würde wohl noch eine Zeit lang dauern, bis die Bombentrichter auf dem Fahrweg beseitigt und der Verkehr auf Rädern auch hier vorbeirollen würde.
    Max Schulz schien absichtlich langsam zu gehen, als ob er Angst hätte, aufzufallen. Als er bei Frau Holle angelangt war, sagte er kein Wort, nickte ihr bloß zu, zwinkerte mit den Froschaugen und gab ihr zu verstehen, daß er lieber im Keller als hier auf offener Straße mit ihr reden wollte.
    Sie gingen schweigend in die Kellerwohnung. Erst nachdem Frau Holle die Tür zugemacht und sich auch vergewissert hatte, daß das Gesicht des jungen Willi Holzhammers nicht über dem großen Loch in der Zimmerdecke zu sehen war, fragte sie flüsternd: »Also ... hat das geklappt ... mit dem Toten?«
    »Und wie!« sagte Max Schulz.
    »Wo haben Sie ihn hingesetzt?«
    »Wie verabredet! Auf eine Bank auf dem Adolf-Hit ler-Platz!«
    »Und hat das niemand bemerkt?"
    Max Schulz lachte leise. »Ich ging mit einem Arbei ter-Treck. Die meisten von ihnen trugen etwas auf dem Rücken. Ich fiel nicht auf. Später ... auf dem Adolf-Hit ler-Platz ... hab ich mich auf eine Bank gesetzt ... mit dem Paket natürlich ... neben mir auf der Bank. Ich habe den richtigen Moment abgewartet. Und als gerade mal niemand vorbeikam ... da hab ich das Paket schnell aufgewickelt ... hab den Major hingesetzt ... und bin weggegangen.«
    »Und das Papier? Und der Bindfaden?«
    »Hab ich später weggeschmissen!«
    »Und der Major?«
    »Der guckt das demolierte Adolf-Hitler-Denkmal an«, sagte Max Schulz.
12.
    Da beide in der Nacht wenig geschlafen hatten, legten sie sich gleich nach dem Frühstück in das große Messingbett, schliefen auch sofort ein und erwachten erst gegen Mittag.
    Max Schulz stand vor Frau Holle auf, ging hinters Haus, um seine Notdurft zu verrichten, kam nach einigen Minuten wieder zurück und machte sich mit dem Goldsack zu schaffen, packte den Rest der Lebensmittel aus, nahm auch Hemden und Unterwäsche aus dem Sack und zum Schluß auch zwei Bücher: ein braunes und ein schwarzes.
    Frau Holle beobachtete ihn. »Haben Sie alles ausgepackt?«
    »Nicht alles«, sagte Max

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