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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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»Itzig Finkelstein wurde im Sommer 1942 in Laubwalde eingeliefert. Als ich ihn zum letzten Male sah ... und das war im September ... September 1942 ... am siebenten Tage des Monats ... da lag er bereits tief unter der Erde. Aber vielleicht ist er inzwischen im Himmel? Ich weiß es nicht genau."

Drittes Buch 
Berlin 1946
1.
    Ich leide an Schlaflosigkeit. Deshalb lese ich viel. Halbe Nächte lang.
    Ich kann nicht alle Bücher aufzählen, die ich lese. Woll te Ihnen eigentlich bloß sagen, daß ich auch Zeitungen lese ... unter anderen auch den ›Warthenauer Stadtanzeiger ‹, obwohl diese Zeitung ein langweiliges Provinz blatt ist. Ich kaufe sie eigentlich nur aus rein sentimen talen Gründen.
    Unlängst las ich im ›Warthenauer Stadtanzeiger‹ die Nachricht von Frau Holles Tod. Konnte meinen eigenen Augen nicht trauen. Aber dort stand es schwarz auf weiß: »Witwe des SS-Rottenführers und Massenmörders Günter Holle beim Alteisensammeln im Sperrgebiet zwischen Moltke- und Hanauerstraße auf eine Mine getreten!«
    Ein typischer Nachkriegstod! Hat sie gehungert, nachdem ich abgehauen bin? Ich nehme es an. Wollte sie Alteisen sammeln? Wollte sie Alteisen verkaufen?
    Wissen Sie, was ich zu mir gesagt habe? - »Itzig Finkelstein «, hab ich zu mir gesagt, »Itzig Finkelstein und früher Max Schulz. Die deutsche Frau hungert! Die deutsche Frau sammelt Alteisen! Und die deutsche Frau humpelt in den Ruinen des Tausendjährigen Reiches herum, um Alteisen zu sammeln. Weil die deutsche Frau nicht hungern will. Aber die deutsche Frau hat das Sperrgebiet nicht gesehen. Wann, zum Teufel, werden die Amis endlich die letzten Minen wegräumen, die unsere Jungs in die Erde gepflanzt haben ... in die deutsche Erde?«
    Bei Gott ... ich wollte Frau Holle mitnehmen! Aber dann hab ich mir's überlegt. Und hab zu mir gesagt: »Max Schulz« - damals war ich ja noch Max Schulz - also: »Max Schulz«, hab ich zu mir gesagt, »du kannst untertauchen. Aber eine Frau mit einem Holzbein, die kann das nicht. Wenigstens nicht so leicht.«
    Ich weiß ja, wie das ist. Die Polizei hätte sie früher oder später beobachten lassen. Weil sie die Frau von Günter war! Und ich war Günters Freund! Die haben lange Nasen ... die, die hinter mir her sind. Und jede Spur ist ihnen recht ... jede Spur, die zu mir führt ... auch eine Frau Holle.
    Ich habe Frau Holle einiges von Itzig Finkelstein erzählt. Ich erzählte ihr auch, daß ich die Absicht hatte, Jude zu werden. Aber ich habe ihr damals nicht erzählt, welchen Namen ich eines Tages annehmen würde.
    Nun, ich bin jetzt Itzig Finkelstein. Ausgerechnet ... Itzig Finkelstein! Das ist wahr! Und ich kann es nicht mehr ändern. Und ich sage Ihnen vertraulich ... dem Itzig geht's gut:
    ITZIG FINKELSTEIN ist zu Geld gekommen!
    ITZIG FINKELSTEIN hat die Goldzähne verkauft ... alle Zähne!
    Ja. Der Itzig. Der hat das Geld gut investiert:
    ITZIG FINKELSTEIN ist Schwarzhändler geworden und handelt mit allem möglichen, von schwarzen Zigaretten angefangen ... bis zu schwarzen Jungfrauen. Unter uns ... die schwarzen Jungfrauen sind weiß.
    ITZIG FINKELSTEIN lebt wie ein Herr, ja ... wie ein ›Herr von Welt‹.
    ITZIG FINKELSTEIN hat sich verändert. Sein Schädel ist glattrasiert. Er trägt einen Spitzbart und eine Brille. Er sieht Lenin ähnlich, obwohl das nicht ganz stimmt. Übrigens: Hat Lenin eine Brille getragen ... und hat er Froschaugen gehabt?
    ITZIG FINKELSTEINS Geschlechtsglied ist etwas kürzer geworden, weil das Vorhäutchen jetzt fehlt.
    ITZIG FINKELSTEINS Geschlechtsglied ist zwar kürzer, aber nicht schwächer geworden.
    ITZIG FINKELSTEIN lebt mit einer schönen Frau zusammen ... mit einer Gräfin. Davon später.
    ITZIG FINKELSTEIN findet Geschmack an schönen Dingen, guter Musik, lehrreichen Büchern. Natürlich regt ihn die Gräfin dazu an.
    ITZIG FINKELSTEIN lebt intensiv.
    Frau Holle war einkaufen ... auf dem Schwarzmarkt. Und als sie am späten Nachmittag nach Hause kam ... da war der Max Schulz verschwunden. Hat seine Klamotten in den Sack mit den Goldzähnen gepackt. Hat sich den Sack über den Rücken geworfen. Und ist abgehauen. Einfach so!
    Ob sie lange geheult hat?
    Ja. Das Leben ist grausam, liebe Frau Holle. Nicht mal die Sommervögel haben es leicht.
    Es ist auch nicht leicht, im besetzten Deutschland zu reisen, besonders als Deutscher und ohne Papiere und mit einem Steckbrief. Aber Sie können sich ruhig auf Max Schulz verlassen. Der hat sich durchgeschlagen ... mit seinem

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