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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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Sonntagsanzug. Fand auch ein paar Juchtenstiefel, Wäsche, Hemden. Ich zog mich vollständig um, packte noch etwas Wäsche in den Sack ... warf ihn über die Schultern und verließ die Kate.
    Ich ging dem Frühling entgegen«, sagte Max Schulz. »Die Erde im Wald wurde zusehends trockener. Und eines Tages trafen wir uns: der Frühling und ich.
    Wissen Sie, wie ein polnischer Wald im Frühling aus sieht?«, sagte Max Schulz ... »so wie ein polnischer Wald im Frühling! So sieht der aus! Im Frühling fressen Sonne und Erde den Schnee auf. Und die Bäume weinen nicht mehr. Die gähnen und schütteln sich. Und Erde, Sonne und Regen jagen das Leichentuch fort und weben einen neuen, bunten Teppich aus Gras und Blumen und sonstigem Zeug. Genau weiß ich das nicht ... ich meine ... wie das gemacht wird. Ich weiß nur, daß der Frühling jedes Jahr nach Polen kommt, ganz gleich, ob der Iwan in Polen regiert oder ich. Das wird immer so sein ... nehme ich an. Der Frühling kümmert sich nicht um den Iwan. Und der kümmert sich nicht um mich. Und als ich dem Frühling begegnete, damals im polnischen Wald, da hat der Frühling ein bißchen gegrinst. Denn in den Augen des Frühlings war ich, Max Schulz, nicht mehr als ein heiserer Käfer, einer, der eine Zeitlang gebrüllt und dann seine Stimme verloren hat.
    Ja, so war das«, sagte Max Schulz. »Wochenlang ging ich durch den polnischen Wald. Ich kam auch über Felder und Wiesen. Und eines Morgens kam ich zur Grenze.
    Als ich das erste deutsche Dorf erreichte, blieb ich wie angewurzelt stehen. Die Häuser waren niedergebrannt, die Bewohner vor den Russen geflohen. Ich sah einen Wegweiser, dessen Spitze nach oben zeigte ... zum Himmel. Ich versuchte, den verwischten Namen des Dorfes zu lesen, konnte es aber nicht.«
11.
    Die Kerze war längst ausgegangen. Es war stockdunkel in der Kellerwohnung.
    Max Schulz hatte gar nicht bemerkt, daß Frau Holle auf dem Küchenstuhl eingeschlafen war. Er hatte eine Zeitlang vor sich hin geredet, Whisky getrunken, Ziga retten geraucht und mit trunkenen Augen ins Dunkel gestarrt. Erst jetzt, als Frau Holle, deren Kopf friedlich auf der Stuhllehne ruhte, ein paar Schnarchtöne von sich gab, erkannte er den Grund ihres langen Schweigens.
    Max Schulz stieß Frau Holle ärgerlich mit der leeren Whiskyflasche an, woraufhin Frau Holle erschreckt die Augen aufriß.
    »Was ist los?«
    »Gar nichts ist los«, sagte Max Schulz. »Sie haben die ganze Zeit geschlafen.«
    »Nicht die ganze Zeit«, sagte Frau Holle. »Ich bin ab und zu aufgewacht.«
    Max Schulz stand torkelnd auf, stieß gegen den Stuhl, schlurfte auf unsicheren Beinen zum Bett, fand die erlo schene Kerze auf der Bettkiste, zündete sie an und kam zurück zum Küchentisch.
    »Sie sind besoffen«, sagte Frau Holle.
    »Nicht wirklich besoffen«, sagte Max Schulz.
    Frau Holle lachte. Sie bohrte eine Weile nachdenklich in der Nase, strich übers Haar, suchte nach Brotkrumen auf dem Küchentisch, machte kleine Kügelchen, schnippte sie spielerisch mit dem Finger, zielte absicht lich gegen die Hand von Max Schulz.
    »Wissen Sie, Max Schulz ... daß ich Ihnen gerne zuhöre.«
    »Sie haben geschlafen«, sagte Max Schulz. »Sie haben mir ja gar nicht zugehört.«
    »Doch«, sagte Frau Holle. »Den Anfang der Ge schichte hab ich gehört. Ich hab ja auch Fragen gestellt. Und mit Ihnen gesprochen. Und später ... ja, später ... da bin ich eingeschlafen ... aber das wollte ich gar nicht. Aber ich bin ja ab und zu aufgewacht ... das hab ich Ihnen doch gesagt ... und ein bißchen hab ich schon zugehört ... ich meine ... den Rest der Geschichte ... fast bis zum Ende.«
    »So ...«, sagte Max Schulz. »Na ja. Das ist mir jetzt scheißegal.«
    »Wissen Sie, daß Sie manchmal wie ein Dichter re den!«
    »Das kann ich manchmal«, sagte Max Schulz ... »wenn auch nicht immer ...«
    »Gar nicht wie ein Friseur«, flüsterte Frau Holle. »Und schon gar nicht wie ein Massenmörder. So wie ein Dichter.«
    Max Schulz erzählte ihr dann noch, daß er nicht nur Landstraßen, sondern auch Bahnhöfe vermieden hätte. Die besonders. Auch nach der Kapitulation des Großen Vaterlandes. - »Immer zu Fuß«, sagte Max Schulz. »Obwohl ich Plattfüße habe wie ein verdammter Jude. - Und ich war auch in Wieshalle«, sagte Max Schulz. »Und dort hab ich Slavitzki gesucht. Und meine Mut ter. Aber die sind vor den Russen geflohen. Und ich war auch in anderen Städten ... bin durchmarschiert ... als Zivilist ... hab aber aufgepaßt

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