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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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nicht mehr im Wald. Aber die Erde ist naß. Warte lieber, bis die Erde ganz trocken ist!‹
    ›Ja‹, sagte ich. ›Erst muß die Erde im Wald trocknen.‹
    Auch der Karton mit den Goldzähnen sollte trocknen«, sagte Max Schulz. »Aber das mußte auf jeden Fall ver zögert werden.
    Nachts lag ich wach auf meiner Schlafbank und dach te darüber nach, wie ich Veronja überlisten konnte. Ich würde ihr morgen irgendwas andres einreden müssen, um sie daran zu hindern, den Karton zu öffnen. Mir fiel ein: ich konnte den Karton erst mal vom Küchenherd wegrücken, damit er morgen noch naß ist. Dann wird ihn Veronja nicht öffnen. Aber Veronja kam öfter des Nachts in die Küche, um zu gucken, ob ich schlief. Sie würde natürlich bemerken, daß der Karton nicht mehr am Küchenherd stand. Ich sagte mir also: Nein! DerKarton bleibt am Küchenherd! Das Feuer geht sowieso bald aus. Der Karton wird voraussichtlich morgen früh noch nicht ganz trocken sein. Und dann sagte ich zu mir: Und wenn er trocken ist? Was machst du dann? Ich überlegte. Na ja, sagte ich dann zu mir: Du wirst eben morgen in aller Früh aufstehen ... ehe Veronja aufwacht ... und nachgucken, ob der Karton noch naß ist. Wenn nicht ... dann wirst du ein bißchen Wasser drübergießen. Der Kübel steht ja am Herd. Und nachher ... ja, nachher wird dir etwas andres einfallen. Veronja durfte den Karton nicht öffnen!
    Je mehr ich nachdachte, desto müder wurde ich. Merkte natürlich nicht, daß ich einschlief. Wie das so ist.
    In der Nacht aber nagte die Ziege Katjuscha an dem feuchten Karton, nagte ein großes Loch in die Pappe ... und die Goldzähne kullerten heraus ... kullerten über den Fußboden.
    Ich erwachte erst, als Veronja schlaftrunken in die Küche kam, hob den Kopf, sah den Schaden, sah Veron ja, dachte: Zu spät!
    Als Veronja die Goldzähne sah - verstreut über den Fußboden der Küche - fing sie laut zu schreien an, verdrehte die alten Augen wie eine Irre, raufte ihr Haar, starrte mich entsetzt an, dachte wahrscheinlich: Hier spukt es! Das sind die bösen Geister von Laubwalde! -rannte plötzlich zum Küchenherd, versetzte Katjuscha einen Fußtritt, ergriff die Holzhacke unter dem Herd, schrie noch lauter, rannte geduckt um Katjuscha herum ... mit offenem Mund ... großen Zähnen ... speicheltriefend ... funkelnden Augen ... wirrem, aufgelöstem Haar ... machte plötzlich hüpfende Bewegungen ... ziegenähnlich ... trotz ihrer alten Beine ... sprang dann mit einem Satz über die Ziege hinweg, rannte auf meine Bank zu und griff mich mit der Holzhacke an.
    Ich war schneller als Veronja. Ich wich dem Schlag aus, warf Veronja zu Boden, ergriff selber die Hacke, die in der Bank steckengeblieben war, holte aus und zertrümmerte den Schädel der Hexe mit drei Schlägen.
    Drei Schläge! Wie man so sagt: Aller guten Dinge sind drei. Die Schädeldecke Veronjas flog unter die Bank und klatschte an die Wand. Ein Teil ihres Kopfes sauste in die entgegengesetzte Richtung und blieb an der Türschwelle des Schlafzimmers hängen. Veronjas Gesicht jedoch ... das rutschte zum Küchenherd, rutschte unter die Beine der Ziege Katjuscha, die entsetzt gegen das Ofenloch sprang. Kalte Asche fiel auf Veronjas Gesicht. Ich holte die Kohlenschaufel, kehrte Gesicht und Asche zusammen, warf es ins Ofenloch, machte ein lustiges Feuer.
    Und dann«, sagte Max Schulz, »und dann ...
    Ja, dann suchte ich nach den Resten des Hutzel kopfes, fand sie und warf sie ins Feuer. Ich hob Veron jas kopflosen Körper auf meine Schultern und trug ihn zum Ziehbrunnen hinter der Kate. Der Brunnen war tief. Dort warf ich den kopflosen Körper hinein.
    ›Max Schulz!‹ sagte ich zu mir, ›Max Schulz! Jetzt mußt du abhauen! Der Frühling steht hinter dem Wald. Aber du kannst nicht auf ihn warten. Du mußt jetzt abhauen! Du wirst dem Frühling entgegengehen.‹
    Ich schlachtete die Ziege Katjuscha, zerlegte sie in klei ne Stückchen, machte ein großes Feuer und kochte die Reste Katjuschas. Dann leerte ich den Karton mit den Goldzähnen in einen leeren Mehlsack um, verheizte den Karton, legte Ziegenteilchen und -Stückchen in den Sack, legte sie obenauf ... auf die Goldzähne, packte auch Wodka ein und den restlichen Vorrat an Kartoffeln, Brot und Rüben. Meine Uniform zog ich aus.
    Auch die Stiefel. In der schwarzen Truhe unter dem Küchenfenster fand ich außer der Reitpeitsche verschie dene Kleidungsstücke, die einmal Veronjas Mann gehört hatten. Ich suchte mir das Beste aus: den

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