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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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... daß wir beide noch auf freiem Fuß sind.
    Ja, so ist das«, sagte Max Schulz. »Und die neuen deutschen Behörden, die den Besatzungsmächten den Arsch lecken, die haben es inzwischen auch erfahren,denn der Iwan hat tüchtig getrommelt. Man weiß es überall, hier und in anderen Ländern. Ich werde gesucht. Das weiß ich genau. Aber vor allem in Polen. - Ja, verdammt nochmal. Vor allem in Polen. Die polnischen Behörden ... die sind ganz besonders scharf auf meinen Kopf ... sogar noch schärfer als der Iwan ... obwohl ich ja auch in Südrußland war und dort beim Iwan ein bißchen in der Gegend herumgeknallt habe ... aber so ist das eben ... die Polen sind ganz besonders scharf auf meinen Kopf ... ja, und auf den Kopf von Hans Müller, des Lagerkommandanten ... wegen der Morde auf polnischem Boden ... obwohl es doch eigentlich scheißegal ist, ob das der polnische Boden war oder ein anderer. Aber so ist das eben. Und ich kann es nicht ändern.
    Und wissen Sie was«, ... sagte Max Schulz ... »ich hab 'ne lange Zunge ... manchmal ein bißchen belegt ... manchmal auch nicht ... aber lang ist die ... und manch mal stell ich mir vor, wie die lange Zunge wohl aussieht, wenn ich am Galgen baumle. Die wird wahrscheinlich lang heraushängen, als ob sie noch einmal lecken wollte - und meine Zunge, die hat so alles mögliche in diesem Leben geleckt!«
    Max Schulz grinste. Und dann sagte er: »Aber machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde nie geschnappt. Nur wer geschnappt wird, der kommt an den Galgen. Das ist 'ne komische Einrichtung ... so ein Galgen ... wissen Sie ... wird immer nur ... und wurde seit Urzeiten nur - für diejenigen gezimmert, die sich schnappen lassen oder ließen!
    Verdammt noch mal«, sagte Max Schulz. »So ist das. Und das ist so und so. Und nicht anders. Und die toten Juden aus Laubwalde, die haben ihre Goldzähne ausgespuckt, damit ich's ein bißchen leichter hab in diesem Leben. Vielleicht mach ich was auf dem Schwarzmarkt. Vielleicht auch nicht. Aber eines Tages ... ja ... eines Tages ... da mach ich mir wieder einen Friseurladen auf. Pardon: ich meine ... einen Friseursalon ... einen rich tigen Salon mit allen Schikanen. Und wenn man wieder Fuß gefaßt hat ... und wieder jemand ist ... und wenn die Leute sagen: der ist der und der ... aber kein Vagabund ... kein Herumtreiber ... der ist ein Friseur ... und der verdient sein Geld mit seiner Hände Arbeit ... und ein guter Friseur noch dazu ... und was für einer ... und Mitglied ist er auch ... dort und dort ... und was für eines ... ja ... wissen Sie ... dann kann die Sonne ruhig aufgehen frühmorgens ... und abends untergehen ... da schlaf ich mit reinem Gewissen.
    Als Junge hatte ich einen jüdischen Freund«, sagte Max Schulz. »Und der hieß Itzig Finkelstein! Und der hatte blondes Haar und blaue Augen. Und noch so manches andre, was ich nicht hatte. Und ich hatte auch einen jüdischen Meister. Und der hieß Chaim Finkelstein. Und das war ein Meister, sag' ich Ihnen ... ein richtiger Meister. So einen kann sich jeder wünschen.
    Und mit den Finkelsteins ging ich oft in die Synagoge. Und am Sabbat Abend, da saß ich mit ihnen am Tisch. Und auch am Passahfest. Und vielen anderen jüdischen Feiertagen. Und ich kann beten wie ein Jude. Und vieles andre, was die Juden können.
    Und wissen Sie«, sagte Max Schulz ... »seit Monaten denk ich darüber nach, wie ich am besten untertauchen soll ... und je mehr ich nachdenke, desto öfter sag' ich zu mir: ›Max Schulz! Wenn es ein zweites Leben für dich gibt, dann solltest du es als Jude leben.‹ Und schließlich ... wir haben den Krieg verloren. Und die Juden haben ihn gewonnen. Und ich, Max Schulz, war immer ein Idealist. Aber ein besonderer Idealist. Einer, der sich das Mäntelchen nach dem Wind hängt. Weil er weiß, daß es sich leichter an der Seite der Sieger lebt, als an der Seite der Verlierer. So ist das. Und verdammt will ich sein, wenn das nicht so ist. Und die Juden haben den Krieg gewonnen.
    Nur den Schwanz muß ich mir abschneiden«, sagte Max Schulz. »Und das gefällt mir gar nicht.«
    Frau Holle hatte stumm zugehört, was Max Schulz sagte. Aber plötzlich zuckte sie erschreckt zusammen.
    »Was soll das heißen? Warum müssen Sie Ihren Schwanz abschneiden?«
    »Nicht wirklich abschneiden«, sagte Max Schulz ernst. »Bloß das Vorhäutchen. Dann bin ich beschnitten ...so wie Itzig Finkelstein.«
    »Wo ist dieser Itzig Finkelstein?«
    »Das weiß ich nicht genau«, sagte Max Schulz.

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