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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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Schulz. »Die Goldzähne sind noch drin.«
    »Und was sind das für Bücher?«
    »Die hab ich unterwegs gefunden«, sagte Max Schulz. »In einem menschenleeren Dorf an der Grenze.«
    »Ein zerstörtes Dorf?«
    »Ja. Ein zerstörtes Dorf.«
    »In einem Haus?«
    »Ja«, sagte Max Schulz. »Ein Haus stand noch, wenn auch auf schwachen Beinen.«
    »Und was sind das für Bücher?«
    »Ein braunes und ein schwarzes«, sagte Max Schulz.
    »Das braune war ein unbeschriebenes Tagebuch, in das ich allerdings inzwischen was hineingeschrieben habe.«
    »Und das schwarze?«
    »Das ist ein Gebetbuch«, sagte Max Schulz. »Ein Gebetbuch.«
    »So ...«, sagte Frau Holle. »Ein Gebetbuch und ein Tagebuch?«
    »Ja«, sagte Max Schulz.
    »Und die Schmutzwäsche, die Sie soeben aus dem Sack herausgeholt haben ... woher haben Sie die? ... Ist die etwa aus Veronjas Kate?«
    »Ja«, sagte Max Schulz. »Aus der schwarzen Truhe. Damals war die Wäsche allerdings sauber.«
    »Und die Lebensmittel ... auch aus Veronjas Kate?«
    »Die nicht«, sagte Max Schulz. ... »die aus Veronjas Kate habe ich längst aufgegessen ... auch die Ziege Katjuscha .«
    »Und was sind das für Lebensmittel?«
    »Das sehen Sie doch! Salami ... hartgekochte Eier ... auch Kaffee!«
    »Woher haben Sie das?«
    »Getauscht«, sagte Max Schulz. »Für ein paar einzel ne Goldzähne.«
    »Einzelne?«
    »Ja«, sagte Max Schulz.
    »Warum verkaufen Sie nicht den ganzen Sack?«
    »Weil ich damit abwarte. Das hab ich Ihnen bereits gesagt. Zu auffällig ... jetzt. Wenn man die Zähne ein zeln verkauft, dann kann man immer sagen: ›Die hab ich mir ausgebrochen!‹ Oder: ›Die sind herausgefallen!‹"
13.
    Nachts im Bett ... sagte Max Schulz zu Frau Holle:
    »Sehen Sie ... ich bin ein fleißiger Zeitungsleser. Seit dem ich wieder in Deutschland bin, lese ich alles, was die Presse druckt ... oder sagen wir ... was mir in die Hände fällt ... sogar Zeitungsfetzen aus Mülleimern und die aus dem Rinnstein ... und ich weiß Bescheid: die Behörden wissen genau, daß ich noch am Leben bin!«
    Frau Holle drehte sich ganz zu ihm um, kuschelte ihren alten Kopf in seine Arme und fragte: »Das wissen die also?«
    »Ja«, sagte Max Schulz. »Die wissen auch, daß der Lagerkommandant Hans Müller am Leben ist und sich irgendwo versteckt!«
    Max Schulz spuckte auf seine Finger und drückte den brennenden Kerzenstumpf aus. »Wir haben damals einen Fehler gemacht«, sagte er leise zu Frau Holle. »Als wir das Lager verließen, war die Rote Armee noch ein paar Kilometer entfernt. Wir wußten zwar von der Partisanengefahr ... und besonders Hans Müller, der Lagerkommandant ... ja, der besonders ... der hatte Schiß vor den Partisanen ... aber Sturmführer Adolf Kugelmann ... und vor allem wir anderen ... wir waren fest davon überzeugt ... das heißt: am letzten Tag, als wir packten ... da waren wir fest überzeugt, daß uns die Rote Armee nicht überrollen wird, und daß wir auchdurch den Partisanenring hindurchkommen würden. Sie verstehen schon ... wir glaubten, daß wir uns bis zu den deutschen Linien durchschlagen würden. Und mit den deutschen Truppen, die munter rückwärts marschierten, dann bis nach Deutschland kommen würden. Sie verstehen schon, was ich meine?«
    »Nichts versteh ich«, sagte Frau Holle.
    »Na ja«, sagte Max Schulz. »Wir glaubten eben, daß wir doch durchkommen würden. Und schmissen unse re Papiere nicht fort. Jeder von uns trug seinen Ausweis und sonstiges Zeug bei sich. Das ist dann eben in die Hände der Partisanen gefallen. Und das stand auch in den Zeitungen.
    Und noch was stand in den Zeitungen«, sagte Max Schulz. »Die Partisanen übergaben die Papiere der gefallenen und im Wald erschossenen Kameraden den sowjetischen Behörden. Und die schickten dann eine Kommission in den Wald und fotografierten die Toten. Die hatten zwar keine Geschlechtsglieder und viele hat ten nur halbe Schädeldecken oder gar keine ... aber immerhin ... ja, und die sowjetischen Behörden oder der Iwan ... die wußten oder der wußte dann ganz genau, wer gefallen war und wer nicht. Und noch was ... das muß ich Ihnen sagen, ehe ich es vergesse. Wir hatten die Totenlisten verbrannt. Aber nicht die Namensliste der SS. Die steckte in einer Dokumentenmappe im Lastauto des Sturmführers Adolf Kugelmann. Und die fiel auch in die Hände der Partisanen und später in die des verdammten Iwans. Und der Iwan ... der weiß genau, daß ich, Max Schulz, und daß Hans Müller, der Lagerkommandant

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