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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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der Nummer ein Buchstabe. Der Buchstabe A!«
    »Warum ein A? Warum nicht ein L? Du warst doch in Laubwalde?«
    »In Laubwalde gab es keine Überlebenden, Horst. Das war doch nur ein kleines Lager."
    »Wieso war das ein kleines Lager? Ihr habt doch 200 000 umgebracht.«
    »Das war ein kleines Lager, Horst. Die meisten Juden wurden gleich umgelegt. Gleich nach ihrer Einlieferung. Kapierst du das? Wir hatten auf diese Weise nie viele zu überwachen.«
    »Ach so, Max.«
    »Ja, Horst. Das war ein kleines Lager. Mit wenigen Gefangenen. Und keiner ist entwischt. Wir waren gut organisiert.«
    »Das kann man wohl sagen, Max.«
    »Der Buchstabe A, Horst!«
    »Na schön, Max. Also ein A.«
    »Auschwitz, Horst! Das wirkt mehr. Das ist bekannter.«
    Ich kriegte meine KZ-Nummer. Horst Kumpel gab mir auch die Adresse eines Arztes ... einer, der die Schnauze halten konnte.
    Doktor Hugo Weber war 84. Ein Mann, der bereits 1930 in den Ruhestand getreten war. Zu alt, um während des Krieges mit dabeigewesen zu sein. Also: unbelastet. Aber ein Nazi.
    Ein Theoretiker. Ein Antisemit. Sentimental. Ein Idealist.
    Ich sagte ihm offen, wer ich war: »Max Schulz. Ein kleiner Fisch.« - Dieser Mann würde mich nicht verraten.
    Doktor Hugo Weber entfernte zuerst meine SS-Tätowierung unter dem linken Oberarm - eigentlich eine unansehnliche Tätowierung, ein kleiner Buchstabe, mein Blutgruppenzeichen - entfernte dann auch das Vorhäutchen an meinem Geschlechtsglied, operierte mit zittrigen, runzeligen Händen, ein letzter Liebesdienst für Führer und Vaterland.
    Sagte bloß: »Max Schulz! Das verstümmelte Glied ... das paßt zu Ihrem Gesicht.«
    Hätte ihm gern erwidert: »Herr Doktor. Das sind antisemitische Vorurteile. Ich habe ja gar kein jüdisches Gesicht.« Zog es jedoch vor, zu schweigen.
    Während der ersten Wochen in Berlin wechselte ich öfters die Wohnung, schlief in anderen Kellern oder Kellerlöchern, manchmal auch im Freien, irgendwo im Ruinenfeld, einmal sogar in einer zertrümmerten Kir che. Strolchte herum. In der Trümmerstadt. Schmiedete Pläne. Dachte nach. Erfand Listen jüdischer Namen, griff schließlich auf einen zurück ... auf den Namen Itzig Finkelstein.
    Max Schulz, der Massenmörder, unehelicher, wenn auch rein arischer Sohn der Minna Schulz, wurde am selben Tage geboren wie der Jude Itzig Finkelstein. Er kannte seine Vergangenheit. Und er hatte denselben Beruf.
2.
    Meine Geschichte ist einfach:
    Ich bin Itzig Finkelstein, ein jüdischer Friseur aus Wieshalle. In unserer Stadt wohnten nicht viele Juden. Eine kleine Gemeinde. Die Nazis hatten uns gewarnt. Aber wir glaubten ihnen nicht. Wir glaubten, daß der ganze Spuk vorübergehen würde. Wir glaubten an ein besseres Deutschland. Und wir warteten ab. Wir sind nicht ausgewandert.
    Und dann kam der Krieg. Und wir warteten auf ein Wunder. Und das Wunder kam nicht. Und eines Tages wollten wir auswandern. Aber da war es zu spät.
    Denn eines Tages ... wurden wir abgeholt. Im Morgengrauen. Alle Juden aus Wieshalle. Es wurde keiner vergessen. Wir mußten in Lastautos steigen. Im Morgengrauen.
    Wir wurden nach Dachhausen gebracht, ein Konzentrationslager in Schlesien. Dort wurden einige von uns umgebracht. Aber nicht alle.
    Im Juni 1942 wurde Dachhausen evakuiert. Man brachte uns nach Laubwalde, ein Vernichtungslager in Polen. Von dort ist keiner zurückgekehrt.
    - Aber ich, Itzig Finkelstein, bin nie in Laubwalde angekommen. Unser Transportzug fuhr durch Polen. Tagelang. Wir kriegten kaum was zu essen, und Wasser war knapp. In meinem Waggon waren ein paar Tote. Auf einer kleinen Bahnstation in Polen wurden dieTüren geöffnet und die Toten herausgeholt. Bei dieser Gelegenheit sprang ich aus dem Zug.
    Wohin ich flüchtete? Wohin kann ein Jude in Polen flüchten? In den Wald natürlich. Ich traute den Polen nicht, denn das waren noch schlimmere Antisemiten als die deutschen Nazis.
    Ich blieb im Wald. Setzte mich allmählich ab ... Rich tung Südrußland, Ukraine. Dort schloß ich mich den Partisanen an. Kämpfte eine Zeitlang im Schatten. Woll te meine Eltern rächen. Aber dann - kurz nach dem Fall von Stalingrad - wurde ich geschnappt. Meine Einheit war in eine Falle gerannt. Wieder gelang mir die Flucht. Blieb eine Zeitlang allein. Wanderte dort in der Gegend rum. Wurde wieder geschnappt. Arbeitete als Totengrä ber unter deutschem Kommando. Sollte erschossen wer den. Konnte aber wieder fliehen. Diesmal zurück nach Polen. Dort wurde ich wieder geschnappt ... und nach

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