Der Nazi & der Friseur
Sack ... mit seinem Stürmergesicht... in seinen abgetragenen Kleidern ... auf Umwegen ... unauffällig ... bis nach Berlin.
Wissen Sie, wie ein Herrenmensch seinen Einzug hält ... in der zertrümmerten Hauptstadt des Tausendjährigen Reiches? - Mit durchlöcherten Schuhen! Stinkenden Kleidern! Mit müdem Gesicht und geröteten Froschaugen! Und einem alten Sack auf dem juckenden Rücken, einem alten Sack, in dem die Zähne der toten Juden glänzen und grinsen!
Gleich nach meiner Ankunft in Berlin vergrub ich die Goldzähne in einem Trümmerfeld. Im amerikanischen Sektor. Merkte mir die Stelle. Suchte mir dann ein Wohnquartier. Nicht leicht in Berlin. Fand eine Kellerkammer in einem zerbombten Haus. Hier konnte ich unter der Straße schnarchen. Das war ich gewohnt.
Ich hatte viele Kameraden. Einer von ihnen hieß Horst Kumpel. Der war ein SS-Mann, ein Idealist, ein Fanatiker. Horst Kumpel hatte keinen richtigen Beruf. War eine Zeitlang Matrose, später Kellner im ›Drei Mohren‹. Zur Jahrmarktzeit pflegte er bestimmte Leute in Wieshalle zu tätowieren ... hatte eine Ecke gemietet in einer Schießbude. Horst Kumpel war einmal ein ganzer Kerl. Und ein guter Kamerad. Aber Pech hat der gehabt, der Horst Kumpel. Ein Unfall. Motorrad. Und im Jahre 1936 verlor er beide Beine. Ich sagte also zu mir in Ber lin: »Max Schulz! Der Horst Kumpel, der hat den Krieg nicht mitgemacht. Der ist unbelastet. Und der ist nicht versteckt. Und seine Eltern wohnten mal in Berlin. Und vielleicht wohnen die immer noch dort. Und bestimmt wissen die, wo der ist. Und du kannst ihn finden. Und der war ein ganzer Kerl. Einer, der sogar tätowieren konnte. Und das kann er sicher jetzt auch noch. Und warum nicht? Und wenn nicht, dann ja. Und der kann noch was: der kann die Schnauze halten!«
Das Haus, wo Horst Kumpels Eltern gewohnt hatten,war eingestürzt, so wie alle Häuser in der Tulbeckstraße. Aber der Keller! Der existierte noch. Ich fand Horst Kumpels Eltern. Hockten beide wie zwei alte Ratten im Keller. Kannten mich nicht. Hatten mich ja vorher nie gesehen. Guckten mich mißtrauisch an.
Ich sagte ihnen natürlich nicht, wer ich wirklich war. Erzählte ihnen bloß, daß ich ein Freund von Horst sei, auch unbelastet wie er, sagte, daß ich Horst Geld schul de und daß ich ihn gern sprechen möchte.
Horst wohnte auch in einem Keller. Nicht weit von der Tulbeckstraße.
Horst Kumpel! Ein SS-Mann. Unbelastet. Ohne Beine. Heulte, als er mich sah. Rutschte auf dem Fußboden herum. Fuchtelte mit den Armen.
»Mensch, Max. Ich hab deinen Namen in der Zeitung gelesen. Hab den Daumen für dich gedrückt. Hab zu mir gesagt: ›Den erwischen sie nicht!‹«
»Ja, Horst. Ich hab's gewußt ... ich meine ... daß du den Daumen für mich drückst.«
»Da habt ihr ja ein tolles Ding gedreht ... in diesem Laubwalde. 200 000. Stand in der Zeitung.«
»Juden, Horst. Das waren bloß Juden. Volksfeinde. Untermenschen.«
»Ihr habt's ihnen heimgezahlt, Max!«
»Sag mal, Horst. Wo ist deine Frau? Ich will nicht, daß sie mich sieht.«
»Keine Angst, Max. Aufs Land gefahren. Hamstern. Lebensmittel sind knapp in Berlin. Aber auf dem Land...«
»Gut, Horst. Ich kann nicht lange bleiben. Aber eine Nacht...«
Eine Kellerkammer. Ein schmales Bett für Horst und seine Frau. Dachte mir gleich: Der ist nicht größer als ein Vierjähriger. Der braucht nicht viel Platz. - Ein roh gezimmerter Tisch. Zwei rohgezimmerte Stühle. Kanonenofen. Kohlenschaufel. Abgesplitterte Wasch schüssel. Ein Fenster. Dahinter: ein Ausschnitt der Rui nen Berlins vom Kellerblickwinkel ... und ein Stück fahler herbstlicher Himmel.
Horst Kumpel rutschte behende hin und her, machte Feuer im Kanonenofen, kochte ein Süppchen für uns beide, zauberte eine Schnapsflasche hervor.
»Hör mal zu, Horst. Kannst du eigentlich noch tätowieren?«
»Klar, Max.«
»Hast du noch dein Werkzeug? Und alles Drumm und Dran?«
»Hab ich noch, Max.«
»Kannst du mich tätowieren, Horst?«
Horst grinste. »Was willst du: eine Frau mit großen Brüsten? Erdbeeren als Brustwarzen? Oder Kirschen? Oder Schildkröten? ... Eine Scheide oder zwei? Oder eine Rose?«
Ich sagte: »Eine KZ-Nummer, Horst. Ich will eine KZ-Nummer.«
Wir witzelten eine Zeitlang. Dann sagte Horst: »Mensch, Max. Mir scheint, du bist doch ein verdammter Jude. Und die haben bloß deine Nummer vergessen.«
Ich grinste und sagte nichts.
»Wie konnte das passieren, Max? Mit so 'ner Fresse!«
Ich sagte: »Nummer 12314! Und vor
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