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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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Massenmörder halten. Als Massenmörder kam ich nicht in Frage.
    Natürlich dachte ich nicht daran, den ganzen Vorrat Goldzähne auf einmal zu verkaufen, denn das wäre dann doch zu auffällig gewesen. Aber dutzendweise? Warum nicht!
    Kennen Sie den Schwarzmarkt in Berlin? Sie kennen ihn nicht? Und sie kannten ihn nicht? Da kann ich Ihnen nur sagen: da haben Sie was verpaßt! - Das ist ein Schwarzmarkt, sag' ich Ihnen! Eine Sehenswürdigkeit! Da hüpft das Herz jedes Schwarzhändlers. Da macht es richtige Sprünge. Besonders zu empfehlen ist die Gegend rings um das Reichstagsgebäude. Ein gefunde nes Fressen für mich, den kleinen jüdischen Schwarzhändler Itzig Finkelstein.
    Ich machte Kontakte: Zahnärzte, Goldschmiede, Zwischenhändler, kleinere und größere Schieber (die Grossisten vermied ich). Zahngold ist knapp in Deutschland. War auch damals knapp, im Herbst 1945. Ich verkaufte meine Zähne dutzendweise. Erzählte immer dieselbe Geschichte: Ich bin Herr Finkelstein. Ich kaufe Goldzähne auf. Kaufe sie meistens von armen deutschen Frauen und Männern, die sich die Goldzähne ausbrechen, um sie für Lebensmittel einzutauschen. Denn auch ein Deutscher muß essen!
    Den Schwarzhändlern war das egal. Aber die Zahnärzte und Goldschmiede ... die haßten mich, den Juden Itzig Finkelstein, obwohl sie nichts sagten. Ich konnte es in ihren Augen aufflimmern sehen, wortlose Funken: Du schäbiger, kleiner Jude. Dich hätten sie vergasen sollen. Was suchst du in Deutschland! Kaufst das Zahngold auf, was? Die Zähne armer deutscher Frauen und Männer!
    Ich hätte ihnen gern gesagt: Das sind doch die Zähne toter, ermordeter Juden! Aber das konnte ich nicht. Lohnt sich auch nicht ... ich meine ... mit Antisemiten zu diskutieren. Die sind ja unverbesserlich.
    Ich verkaufte alle Goldzähne ... oder ... Moment mal! ... nicht alle. Drei behielt ich als Andenken. Wickelte sie in ein Taschentuch. Einige ließ ich ein schmelzen, sozusagen: für Eigengebrauch. Denn meine eigenen Zähne waren schlecht, und ich wollte sie unbedingt machen lassen.
    Ich ging zum besten Zahnarzt in Berlin. Sagte zu ihm: »Meine Zähne sind schlecht. Und ein Mensch soll nicht mit schlechten Zähnen in der Welt herumlaufen. Machen Sie mir einen Mund voller Goldzähne. Ich will, daß man das Gold sieht. Es soll glänzen, wenn ich lache.«
    Ich habe einen Mund voller Goldzähne. Und drei Zähne liegen noch immer in meinem alten Taschentuch. Ein sentimentales Andenken.
    Aber hören Sie zu:
    Ich hatte den Rest der Zähne verkauft. Und ich hatte eine Stange Geld gemacht, genug, um einen kleinen Schwarzhandel anzufangen. Mit dem Friseursalon hatte es Zeit. Ich sagte zu mir: »Ja, eines Tages ... da wirst du dir einen eigenen Friseursalon aufmachen. Ganz bestimmt. Denn du willst ja wieder Wurzeln schlagen. Darauf kommt es an: Wieder Wurzeln schlagen! Ein anständiges, ordentliches Leben zu führen. Vielleicht eine Familie gründen. Ja, warum nicht? Warum sollte Itzig Finkelstein nicht eines Tages eine Familie gründen?«
    Aber wie gesagt: »Das hat Zeit!« - 1945 war das Jahr des Schwarzhandels.
    Ich fing mit schwarzen Zigaretten an, schob dann auch schwarzen Kaffee, handelte später mit allem mög lichen. Itzig Finkelstein wurde allmählich auf dem Schwarzmarkt von Berlin bekannt. Eigentlich hatte er keinen Grund, sich zu beklagen.
    Berlin war immer noch ein Trümmerhaufen. Aber damals, im Jahre 1945, schien die ganze Stadt trostloser denn je. Wenigstens kam mir das so vor. Nachts in meinem Bett sah ich Totenvögel über den angekohlten Rui nen. Ich verkroch mich unter meiner Decke.
    Berlin ist kaputt. Einfach zusammengekracht wie das ganze Kartenhaus. Ich kann es nicht ändern. Es gehtmich auch nichts mehr an. Eines Tages werden sie die Stadt wieder aufbauen. Ich sehe das kommen. Und ganz Deutschland. Sie werden alles wieder aufbauen. Und dann ... ja dann ... holen sie vielleicht den Führer vom Himmel zurück.
3.
    Kennen Sie Kriemhild, Gräfin von Hohenhausen? Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen die Gräfin vorstelle?
    Stellen Sie sich also vor:
    Eine Schwarzhändlerparty in einem Berliner Nachtlokal. Keller natürlich. Der Raum ist verraucht. Zigar renrauch? Oder Zigarettenrauch? Wollen Sie das genau wissen?
    Beides! Allerdings mehr Zigarrenrauch. Das kommt davon: Die ganz Großen rauchen Zigarren. So ist das.
    Irgendwo im Raum sitzt Itzig Finkelstein ... der kleinste unter den Großen. Raucht Camels, der Itzig. Und irgendwo unter den Großen sitzt auch die

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