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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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würde? ... ich, Itzig Finkelstein, der kleine Jude und die schöne, blonde Gräfin ... dachte an Bürgerschreck und Revolution ... dachte an Pferdehufe und an lachende und weinende Negersklaven, an Reitpeitschen and weiße Leinentücher mit roten Pünktchen ... dachte an zartes Fleisch, dachte an Pfirsiche, dachte an ihren Arsch ... und an mein Glied, das beschnitten war wie das Glied des Herrn Jesus Christus.
    Ich schrieb der Gräfin einen Brief. Ich schrieb:
    Sehr geehrte Gräfin,
    ich, Itzig Finkelstein, mache glänzende Schwarzgeschäfte, handle mit schwarzen Zigaretten, schwarzem Kaffee, schwarzer Schokolade, schwarzen Feuerwaffen und noch vielem mehr, zuweilen auch mit schwarzen Jungfrauen, die zumeist blonde Haare haben und blaue Augen oder grüne oder graue. Ich bin auf dem Wege zum Erfolg. Wenn Sie die Güte hätten, einen einsamen, arbeitsamen Mann zu trösten und sich herablassen wollen, die Früchte ehrgeiziger Arbeit mit mir zu teilen, dann wäre ich, Itzig Finkelstein, Ihnen sehr verbunden.
    Mit vorzüglicher Hochachtung
    Ihr
    Itzig Finkelstein
    Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Die Gräfin schrieb mir:
    Lieber Herr von Finkelstein,
    der Erfolg adelt Sie. Handeln Sie nur mit amerikanischer oder auch mit Schweizer-Schokolade, zum Beispiel: Alpenmilchschokolade? Die eß' ich besonders gern. Lassen Sie mich das wissen!
    Reiche Ihnen, lieber Herr von Finkelstein, meine Hand zum Kuß (wissen Sie überhaupt, wie man einer Dame die Hand küßt?)
    Ihre
    Kriemhild, Gräfin von Hohenhausen
4.
    Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, daß die Verbin dung zwischen der nordischen Gräfin und mir, dem jüdischen Schwarzhändler Itzig Finkelstein, zustande kam. Die Gräfin wollte Geld. Und ich wollte gesellschaftlichen Status. Wir konnten uns ergänzen. Steckdose und Stecker. Wir streckten die Fühler aus, fanden uns, konnten funktionieren.
    Ich besuchte die Gräfin in ihrer Villa, eine wirkliche Villa, die den Krieg überlebt hatte ... nicht weit von Berlin ... im Vorort Blankenstein ... Obstgärten, Kieswege, Zuchtwald, Edeltannen ... allerdings verschneit ... vom Winter eingebettet ... Winter 45-46 ... Nachkriegswinter.
    Die Gräfin empfing mich mit dem Lächeln der Kriemhilde, die von Siegfried überrascht wird ... ließ sich die Hand küssen, führte mich ins Rauchzimmer, bot mir eine Zigarre an, drückte mich auf einen Ledersessel, nahm ihrerseits Platz, erklärte mir gleich, daß Geld mehr Schutz biete als Drachenblut, fragte, ob ich sie beschützen könne, erkundigte sich nach schwarzen Zigaretten, schwarzer Schokolade, schwarzem Kaffee, schwarzen Jungfrauen, rauchte nervös, klingelte mit einem Glöckchen, befahl dem Butler, Tee und Mettwurstbrötchen zu servieren, überkreuzte die langen, stammbaumbewußten Beine, zeigte mir verstohlen ihre Zungenspitze  ... blaublütig, rosarot ...  sprach über Finanzen, Börsenneuigkeiten, Musik, Bücher, winkte mir dann mit dem kleinen Finger, ließ mich aufstehen, nähertreten, lächelte, öffnete mit zarten Fingern meinen Hosenbund, nahm mein Glied in ihre Hand, sah es wachsen, nahm ein Metermaß, prüfte mein Glied auf Länge und Breite und Durchmesser, sagte: »Ja, das ist normal! Das paßt!« ... übergab mir dann einen kleinen goldenen Schlüssel, sagte: »Nur symbolisch! Haben Sie Tagore gelesen? Und Zweig? Und Dostojewskij? Und Courths-Mahler? Und lieben Sie Mozart?«
    Die Gräfin hatte die Villa nur gemietet. Kostete ein Heidengeld. Ihr früherer Liebhaber, der Schwarzhändler Nikolaus Wanja Stubbe, Sohn einer Weißrussin und eines Berliner Autohändlers ... Nikolaus Wanja Stubbe, genannt: Zarewitsch ... war einer der ›Großen‹, und für den spielte das keine Rolle. Aber ich, Itzig Finkelstein, der Jude, war nur einer der ›Kleinen‹, obwohl ich gute Geschäfte machte und auf dem Weg zum Erfolg war. Aber immerhin ... das ging einfach über meine Verhältnisse. Eine solch kostbare Villa mit allem Drum und Dran konnte ich mir eigentlich ... oder ... durfte ich mir eigentlich nicht leisten.
    Natürlich hatte die Gräfin außer dem Butler noch anderes Personal: Zimmermädchen, Koch, Köchin, Gärtner, Zofe, Chauffeur. Der Wagen des Schwarzhändlers Nikolaus Wanja Stubbe stand in der Garage und selbstverständlich zu meiner Verfügung.
    Nachdem ich bei der Gräfin eingezogen war, wurde mir gleich eingeschärft, daß der Großerfolg in engem Zusammenhang mit dem Lebensstil steht, in dem oder mit dem ein Mensch lebt. Ich wurde täglich im schwarzen

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