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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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Mercedes zum Schwarzmarkt gefahren. Das fiel den ›Ganz Großen‹ auf, und die kamen zu mir und wollten mit mir Geschäfte machen. Die Gräfin gab regelmäßig Partys in unserer Villa und lud die ›Ganz Großen‹ ein, wickelte sie um ihre zarten Finger, bekam Aufträge für mich, die alles überstiegen, was ich jemals erträumt hatte. Selbstverständlich auch Kredit. Hatte ich doch vorher nur kleinere Schiebereien gemacht und Summen verrechnet, die ein normaler Mensch im Kopf ausrechnen konnte ... jetzt hatten die Zahlen so viele Nullen, daß ich mir eine Rechenmaschine kaufen mußte. In unseren Kreisen sprach man nicht von ein zelnen Stangen Zigaretten oder einzelnen Schokoladen stangen oder einzelnen Büchsen Kaffee oder einzelnen Jungfrauen ... man sprach von Waggonladungen: ein Waggon Zigaretten, ein Waggon Schokolade, ein Wag gon Kaffee, ein Waggon Jungfrauen.
    Wenn Sie glauben, daß ich gleich nach meinem Einzug in die Villa zu der Gräfin ins Bett stieg, sozusagen: als legaler Beischläfer ... dann haben Sie sich geschnitten.
    In der ersten Woche durfte ich sie nicht anrühren. Ich mußte vielmehr im Bett des Butlers schlafen ... ein ern ster, pflichtbewußter, ergebener und erfahrener Mann, dem die Gräfin befohlen hatte, mich in den Künsten der Liebe zu unterrichten.
    Der Butler erklärte mir, daß Körper und Seele eine Einheit bilden, daß im lebendigen Körper keine tote Seele wohnen kann, wohl aber eine schlafende, und daß die schlafende Seele erweckt werden soll wie die schla fende Seele der Geige in der Hand des rechten Geigers. Der Butler erklärte mir den Unterschied zwischen Freude und Vorfreude und wie die eine durch die andere erhöht wird, er sprach auch übers Theater, sprach über Schauspielkunst, sprach über die Wichtigkeit des Vorspiels, das den Hauptakt belebt, dessen Echo wiederum durch das Nachspiel erhalten wird. Der Butler erklärte mir, daß der Mensch eine Fantasie hat oderhaben sollte, das Tier aber nicht: denn das hat keine! Daß die Kraft der Liebe die Fantasie beflügelt und imstande ist, irdische Dinge zu verwandeln: bis ein Fin ger kein Finger mehr ist, eine Zunge keine Zunge, Zehen keine Zehen, Nasen keine Nasen, ein Glied kein Glied, eine Scheide keine Scheide, ein Gesäß kein Gesäß, Säfte keine Säfte, Ausscheidung keine Ausschei dung! Und so fort!
    Der Butler erklärte mir, daß die Biene ihren emsigen Rüssel tief in den Kelch der Blume steckt, um den Honig zu sammeln, daß die Erde weiblich ist, aber der Regen männlich so wie die Sonne, daß das Weib den Mann empfängt und nicht umgekehrt, daß die Berge sich dem Frühlingswind entgegenstrecken, daß die lieben Vögel Gottes Geschöpfe sind ebenso wie das Pferd ... und daß sich die lieben Vöglein nicht schämen, schmackhafte Körner aus übelriechendem Pferdemist zu picken, weil das Korn Gottes Frucht ist. Und ist der Mensch nicht besser als ein Vogel?
    Der Butler sprach über Reitpeitschen, über gegerbtes und ungegerbtes Leder, harte und weiche Griffe silber-oder bronzeverziert ... Seiden- oder Samtkissen bei Kontakterhöhung und zuweilen bei -Vertiefung, sprach über Brennesseln, Olivenöl, Schaumbäder, Vaseline, Parfüm, Haarwickler, Nektar und Champagner, sprach über die sanfte Rundung gläserner Flaschenhälse, über champagner- und nektardurchtränktes Scheidensekret, kernlose, süße Kirschen, Pantöffelchen, drohte mit dem Butlerfinger, erläuterte ernst, daß lautes Schlürfen nur dann erlaubt ist, wenn der Champagner nicht aus Gläsern oder nicht direkt aus der Flasche getrunken wird, sprach über die Dummheit des Hanfs und über den Geist der Weintraube ...
    Mein Kopf dröhnte von soviel Theorie, und ich empfand es fast als Erlösung, als der Butler endlich die Zofe ins Zimmer rief, um den theoretischen Unterricht durch den praktischen abzulösen. Ja, der nahm den Rest der Woche in Anspruch. Lernte allerhand. Lernte vor allem die sieben wichtigsten Positionen, einschließlich der letzten ... die Position der ›reinen Betrachtung‹.
    Habe ich Sie neugierig gemacht? Wollen Sie wissen, ob der jüdische Schwarzhändler Itzig Finkelstein oder der frühere arische Massenmörder Max Schulz die erste Nacht der großen Prüfung mit der schönen adeligen Frau Kriemhild Gräfin von Hohenhausen bestand?
    Wissen Sie, was ein Versager ist? Haben Sie Psycho logie studiert? Wissen Sie etwas über das Wesen der Platzangst? Kennen Sie den Ausdruck: Staatsexamen? Können Sie sich in die Haut eines

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