Der Nebel weicht

de­nen der ver­gan­ge­nen drei Ta­ge zu ver­glei­chen. Die
    Zahl der Un­fäl­le ist er­heb­lich ge­rin­ger – re­ak­ti­ons­schnel­le­re Fah­rer sind na­tür­lich ver­kehrs­si­che­rer.“
    „Hmmm“, mein­te Le­wis zwei­felnd. „Aber was ge­schieht, wenn sie kei­ne Lust mehr ha­ben, mit hun­dert zu fah­ren, und es statt des­sen mit hun­dert­fünf­zig ver­su­chen? Dann gibt es fol­gen­schwe­re­re Un­fäl­le.“
    „Aber wenn die Men­schen in­tel­li­gen­ter sind“, be­gann Shei­la, „muß ih­nen doch klar sein, daß …“
    „Lei­der nicht.“ Man­del­baum schüt­tel­te den Kopf. „Die Per­sön­lich­keit ver­än­dert sich nicht, rich­tig? Und auch in­tel­li­gen­te Men­schen ha­ben im­mer hier und da ziem­lich dum­me oder ver­bre­che­ri­sche Din­ge ge­tan, ge­nau wie je­der an­de­re auch. Ein Mann kann zum Bei­spiel ein her­vor­ra­gen­der Wis­sen­schaft­ler sein, aber das hin­dert ihn nicht dar­an, sei­ne Ge­sund­heit zu ver­nach­läs­si­gen oder rück­sichts­los zu fah­ren oder Spi­ri­tist zu sein oder …“
    „Oder die De­mo­kra­ti­sche Par­tei zu wäh­len“, füg­te Le­wis grin­send hin­zu. „Rich­tig, Fe­lix. Na­tür­lich ist selbst­ver­ständ­lich da­mit zu rech­nen, daß die er­höh­te In­tel­li­genz im Lauf der Zeit auch die Per­sön­lich­keit be­ein­flußt, aber vor­läu­fig hat je­der noch sei­ne Schwä­chen, Un­tu­gen­den, Vor­ur­tei­le, falschen An­schau­un­gen und Blind­hei­ten. Man hat jetzt nur mehr Kraft, mehr Ener­gie und In­tel­li­genz, um ih­nen zu frö­nen – und das ist ei­ner der Grün­de, warum un­se­re Zi­vi­li­sa­ti­on zer­brö­ckelt und aus­ein­an­der­treibt.“
    Er sprach jetzt mit tro­ckener, schul­meis­ter­haf­ter Stim­me: „Um auf das The­ma zu­rück­zu­kom­men: Das am höchs­ten or­ga­ni­sier­te Ge­we­be der Welt ist na­tür­lich das mensch­li­che Groß­hirn – die ‚klei­nen grau­en Zel­len’ oder der Sitz des Be­wußt­seins, wenn euch das lie­ber ist. Es spürt die An­re­gung – oder die feh­len­de Hem­mung, falls Pe­tes Theo­rie stimmt – mehr als al­les an­de­re auf der Welt. Sei­ne Tä­tig­keit und Funk­ti­on stei­gert sich in ei­nem Maß, das in kei­nem Ver­hält­nis zum Rest des Or­ga­nis­mus steht. Viel­leicht wißt ihr nicht, wie kom­plex die Struk­tur des mensch­li­chen Ge­hirns ist. Glaubt mir, im Ver­gleich zu ihm ist das be­kann­te Uni­ver­sum nur ein Bau­kas­ten­satz für Kin­der. Die Zahl der mög­li­chen Quer­ver­bin­dun­gen zwi­schen den Neu­ro­nen ist we­sent­lich grö­ßer als die der Ato­me im ge­sam­ten Kos­mos – der Fak­tor be­trägt et­wa zehn hoch ei­ni­ge Mil­lio­nen. Es ist nicht über­ra­schend, daß ei­ne schwa­che elek­tro­che­mi­sche Ver­än­de­rung – zu schwach, um ei­ne we­sent­li­che Ver­än­de­rung im üb­ri­gen Kör­per her­vor­zu­ru­fen – die Na­tur von Ver­stand und Den­ken völ­lig ver­än­dert. Über­legt, was be­reits ein we­nig Do­pe oder Al­ko­hol be­wir­ken, und be­denkt, daß die­ser neue Fak­tor di­rekt an der Ba­sis wirkt, in den Zel­len selbst. Die wirk­lich in­ter­essan­te Fra­ge ist, ob ein so fein ab­ge­stimm­ter Me­cha­nis­mus ei­ne der­ar­ti­ge Ver­än­de­rung über­ste­hen kann.“
    Sei­ne Wor­te klan­gen furcht­los, und die Au­gen hin­ter den di­cken Glä­sern blitz­ten in ei­ner ab­strak­ten, un­per­sön­li­chen Er­re­gung. Für ihn war das al­les neu und wun­der­bar; Co­rinth stell­te sich Le­wis auf dem To­ten­bett vor, wie er kli­ni­sche Be­ob­ach­tun­gen über sein ei­ge­nes Da­hin­schei­den no­tier­te.
    „Nun“, mein­te der Phy­si­ker ernst, „wir wer­den es ziem­lich bald wis­sen.“
    „Wie kann man nur so see­len­ru­hig dar­über spre­chen?“ schrie Shei­la auf, ih­re Stim­me zit­ter­te vor Furcht.
    „Ach, Mäd­chen“, sag­te Hel­ga, „glaubst du wirk­lich, daß wir im Au­gen­blick et­was an­de­res tun kön­nen?“

 
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    Aus den Schlag­zei­len der New York Ti­mes vom 30. Ju­ni:
     
    VER­ÄN­DE­RUNG VER­LANG­SAMT SICH
     
    Ab­sin­ken fest­ge­stellt, Aus­wir­kun­gen blei­ben be­ste­hen
     
    Mög­li­che Er­klä­rung durch Theo­rie von Rhay­der
     
    EIN­HEIT­LI­CHE FELD­THEO­RIE