Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Nebel weicht

Der Nebel weicht

Titel: Der Nebel weicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Poul Anderson
Vom Netzwerk:
so sein? Ich fürch­te, Sie sind der ge­bo­re­ne Pes­si­mist.“
    „Zwei­fel­los. Ich ha­be zwei­mal er­lebt, daß die Welt in Blut und Trä­nen ver­sun­ken ist. Selbst vor 1914 wa­ren schon deut­li­che Zer­falls­er­schei­nun­gen fest­stell­bar. An­ge­sichts sol­cher Tat­sa­chen muß je­der ver­nünf­ti­ge Mensch pes­si­mis­tisch wer­den. Aber ich bin wirk­lich da­von über­zeugt, daß ich recht ha­be. Der zi­vi­li­sier­te Mensch ist ef­fek­tiv wie­der auf die Stu­fe des Wil­den zu­rück­ge­sun­ken. Nein, nicht ein­mal das, denn selbst der Wil­de hat sein ei­ge­nes Le­bens­sys­tem.“
    Man­del­baum wies auf die Stadt vor dem Fens­ter. „Ist das tie­risch?“
    „Amei­sen und Bi­ber sind gu­te In­ge­nieu­re.“ Oder wa­ren es je­den­falls. Ich fra­ge mich, wo­mit die Bi­ber sich jetzt be­fas­sen. „Bau­wer­ke ir­gend­wel­cher Art sind im Grun­de ge­nom­men un­be­deu­tend. Sie sind nur mög­lich auf ei­nem so­zia­len Hin­ter­grund aus Wis­sen, Tra­di­ti­on, Wün­schen und Ab­sich­ten – sie sind Sym­pto­me, kei­ne Ur­sa­chen. Uns aber ist un­ser ge­sam­ter Hin­ter­grund prak­tisch von ei­nem Tag auf den an­de­ren ent­zo­gen wor­den.
    Oh, wir ha­ben nichts ver­ges­sen, nein. Aber es ist nicht län­ger von Wert für uns, höchs­tens noch Werk­zeug für die rein ani­ma­li­sche Tä­tig­keit des Über­le­bens mit mög­lichst großer Be­quem­lich­keit. Über­den­ken Sie Ihr bis­he­ri­ges Le­ben. Wel­chen Sinn se­hen Sie jetzt dar­in? Was sind Ih­re großen Er­run­gen­schaf­ten der Ver­gan­gen­heit? Lä­cher­lich!
    Kön­nen Sie Wer­ke der Welt­li­te­ra­tur noch mit Ver­gnü­gen le­sen? Be­deu­ten Ih­nen Küns­te noch et­was? Die Zi­vi­li­sa­ti­on der Ver­gan­gen­heit mit ih­rer Wis­sen­schaft und Kunst, ih­ren Über­zeu­gun­gen und Wer­ten ist für uns so un­zu­läng­lich, daß wir sie ein­fach ver­nach­läs­si­gen kön­nen. Wir be­sit­zen kei­ne Zi­vi­li­sa­ti­on mehr. Wir ha­ben kei­ne Zie­le, kei­ne Träu­me, kei­ne krea­ti­ve Be­schäf­ti­gung – nichts!“
    „Oh, ich weiß nicht recht“, wand­te Man­del­baum mit ei­nem amü­sier­ten Lä­cheln ein. „Ich ha­be je­den­falls in den nächs­ten Jah­ren reich­lich zu tun, wenn ich über­all mit­hel­fe, wo ich einen nütz­li­chen Bei­trag leis­ten kann. Den­ken Sie nur an den welt­wei­ten Wie­der­auf­bau der Wirt­schaft, des po­li­ti­schen Le­bens, der ärzt­li­chen Ver­sor­gung, der Pro­duk­ti­on und der ge­rech­ten Ver­tei­lung al­ler Roh­stof­fe – das al­lein müß­te für den An­fang ge­nü­gen.“
    „Aber spä­ter?“ frag­te Ross­man. „Was tun wir dann? Was tut die nächs­te Ge­ne­ra­ti­on? Was tun die fol­gen­den Ge­ne­ra­tio­nen?“
    „Sie fin­den be­stimmt et­was.“
    „Das be­zweifle ich. Die Er­rich­tung ei­ner sta­bi­len Welt­ord­nung ist ei­ne gi­gan­ti­sche Auf­ga­be, aber wir sind uns doch dar­über im kla­ren, daß die neue Mensch­heit sie bald ge­löst ha­ben wird – näm­lich in­ner­halb we­ni­ger Jah­re. Aber was dann? Wir kön­nen bes­ten­falls zu­frie­den aus­ru­hen und schließ­lich völ­lig sta­gnie­ren. Ein schreck­lich lee­res Le­ben!“
    „Die Wis­sen­schaft …“
    „Ja, na­tür­lich, die Wis­sen­schaft­ler er­le­ben zu­nächst viel­leicht ih­ren großen Tag. Aber die meis­ten Phy­si­ker, mit de­nen ich in letz­ter Zeit ge­spro­chen ha­be, ver­mu­ten, daß der po­ten­ti­el­le Be­reich der Wis­sen­schaft be­grenzt, daß die Zahl der noch zu ent­de­cken­den Phä­no­me­ne und Na­tur­ge­set­ze end­lich ist. Sie ge­hen da­von aus, daß sie al­le in ei­ner ein­heit­li­chen Theo­rie zu­sam­men­ge­faßt wer­den kön­nen – und daß wir von die­ser Theo­rie nicht mehr all­zu weit ent­fernt sind. Na­tür­lich läßt sich die­se Vor­aus­sa­ge nicht end­gül­tig be­wei­sen, aber die Mög­lich­keit be­steht im­mer­hin. Au­ßer­dem kön­nen wir nicht al­le Wis­sen­schaft­ler sein.“
    Man­del­baum starr­te in die Nacht hin­aus. Wie still es drau­ßen ist, dach­te er. „Ein­ver­stan­den, aber wie steht es mit der Kunst?“ frag­te er und zwang sich, nicht an Sa­rah und die Kin­der zu den­ken. „Wir müs­sen ei­ne völ­lig neue

Weitere Kostenlose Bücher