Der Nebel weicht
Besseres einfiel.
„Mir ist kalt.“ Ihre Lippen zitterten.
Sein Mund wurde zu einer harten Linie, er setzte sich in seinen Lehnstuhl und zog sie auf seinen Schoß. Sie legte die Arme um ihn und zog ihn an sich; er spürte, wie sie innerlich bebte.
„Das ist schlimm“, sagte er, „der schlimmste Anfall, den du bisher hattest.“
„Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn du nicht bald gekommen wärst“, sagte sie tonlos.
Dann fingen sie an, in der neuen Vermengung von Wort und Geste, Betonung und Schweigen auf der Grundlage der nur ihnen gemeinsamen Erinnerungen zu reden.
„Ich habe zuviel gedacht“, erklärte sie. „Wir denken momentan alle zuviel.“ (Hilf mir, Liebling! Ich versinke in Dunkelheit, und nur du kannst mich retten.)
„Du mußt dich daran gewöhnen“, erwiderte er. (Wie kann ich dir nur helfen? Ich greife nach dir und fasse ins Leere.)
„Du bist stark …“ schrie sie auf. „Gib mir von deiner Kraft!“ (Alpträume, jedesmal, wenn ich versuche zu schlafen. Wenn ich aufwache, erscheinen mir die Welt und die Menschen als erbärmliches Flackern in einem kalten Nichts, das leer ist, bis zum Rand der Unendlichkeit. Ich kann diese Vorstellung nicht ertragen.)
Müdigkeit, Hoffnungslosigkeit: „Ich bin nicht stark“, sagte er. „Ich mache einfach nur irgendwie weiter. Das gleiche mußt du auch versuchen.“
„Halt mich fest, Pete“ – Vaterbild – „halt mich fest“, wimmerte sie. Sie preßte sich an ihn, als sei er ein Schild gegen die Schwärze draußen und die Dunkelheit im Innern und die Dinge, die sich aus ihr erhoben: „Laß mich nie im Stich!“
„Sheila“, sagte er. (Mein Liebling: Frau, Geliebte, Partnerin, Kameradin.) „Sheila, du mußt einfach weitermachen. All das ist nur eine erhöhte Denkfähigkeit die Möglichkeit, die Dinge klarer zu sehen, Informationen und die Träume, die du selbst erschaffen hast, zu handhaben. Nicht mehr.“
„Aber es verändert mich!“ Die Angst vor dem Tod sprach jetzt aus ihr. Sie bekämpfte sie mit einer Art Nachdenklichkeit: „… und wohin ist unsere Welt gegangen? Wo sind unsere Hoffnungen und Pläne, unsere Gemeinschaft?“
„Wir können sie nicht zurückholen“, antwortete er. Unwiderrufliche Leere: „Wir müssen mit dem zurechtkommen, was wir jetzt haben.“
„Ich weiß, ich weiß – und ich kann es nicht!“ Tränen rollten über ihre Wangen. „Oh, Pete, ich weine jetzt mehr um dich“ -(Vielleicht werde ich dich sogar nicht mehr lieben können.) – „als um mich.“
Er versuchte ruhig zu bleiben. „Ein zu großes Zurückweichen vor der Wirklichkeit bedeutet Wahnsinn. Wenn das passiert …“ Eine Undenkbarkeit.
„Ich weiß, ich weiß“, sagte sie. „Nur zu gut, Pete. Halt mich fest.“
„Und es hilft dir nicht, daß du es weißt …“ sagte er und fragte sich, wo die Belastungsgrenze des Menschen lag. Er war nahe daran nachzugeben.
11
Der Sommer verging, als sich der Planet dem Winter zudrehte. An einem warmen Abend, spät im September, saß Mandelbaum mit Rossman am Fenster und tauschte einige leise Worte mit ihm aus. Der Raum war unbeleuchtet, erfüllt von Nacht. Weit unter ihnen schimmerte Manhattan in strahlenden Leuchtpunkten – nicht in dem besessenen Glitzern und Blitzen früherer Tage, sondern nur mit den Lichtern aus einer Million Wohnungen. Über ihnen stand flackernd, glimmend und kaum wahrnehmbar ein verwischtes blaues Leuchten am Himmel. Das Empire State Building wurde von einer strahlenden Kugel gekrönt, wie von einer kleinen Sonne, die sich dort ausruhte, und die Luft brachte einen feinen Hauch von Ozon mit sich.
Die beiden Männer saßen schweigend und entspannt in ihren Sesseln; sie rauchten, es gab nun endlich wieder Tabak in kleinen Mengen. Mandelbaums Pfeife und Rossmans Zigarette
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