Der Nebel weicht
Augenblick lang wünschte er, ein Wilder zu sein, der seine Sorgen und Kümmernisse in einem Tanz für die Götter verlor.
Nein, für ihn war es dazu zu spät. Er war ein Kind der Zivilisation … selbst jetzt; er war zu alt neugeboren worden. Aber was soll man tun, wenn man mit ansehen muß, wie die eigene Frau langsam verrückt wird?
Ach Liebste, könnten du und ich mit dem Schicksal uns verschwören … Was für eine kindische Vorstellung das doch war! Und doch hatte sie ihm einmal gefallen.
Die Musik endete, und sie gingen zurück zum Tisch. Die Maschine hatte die Vorspeisen gebracht. Corinth schob Helga den Stuhl zurecht und stocherte lustlos in seinem Gericht herum. Helga sah ihn wieder an.
„Sheila?“ fragte sie. (Es geht ihr in letzter Zeit nicht besonders gut, oder?)
„Nein.“ (Danke, daß du fragst.) Corinth verzog das Gesicht. (Ihre Arbeit hilft ihr, die Zeit auszufüllen, aber sie wird nicht richtig damit fertig. Sie brütet, sie hat Visionen oder ähnliches und ihre Alpträume …)
Oh, mein gequälter Liebling! „Aber warum?“ (Du und ich und die meisten anderen Menschen haben uns inzwischen angepaßt, wir sind nicht mehr nervös oder unruhig. Ich habe immer gedacht, sie sei überdurchschnittlich ausgeglichen und ruhig.)
„Ihr Unterbewußtsein …“ (Es spielt irgendwie verrückt, und sie kann es nicht kontrollieren. Sie macht sich Sorgen über die Symptome, und das macht alles nur noch schlimmer …) „Sie ist für eine solche Geisteskraft einfach nicht geschaffen, sie kann sie nicht handhaben.“
Ihre Blicke trafen sich: Wir alle haben etwas von der alten Unschuld verloren, alles, was wir wertschätzten, ist von uns genommen, und wir stehen in unserer Verlassenheit nackt und hilflos da.
Helga hob den Kopf: (Wir müssen uns behaupten. Irgendwie müssen wir weitermachen). Aber diese Einsamkeit!
(Ich werde immer abhängiger von dir. Nat und Felix gehen ganz in ihrer Arbeit auf. Sheila braucht selbst Hilfe, sie hat zu lange gegen sich selbst gekämpft. Ich habe nur noch dich, und das ist nicht gut für dich.)
(Es stört mich nicht.) Es ist alles, was ich habe … jetzt wo ich mich nicht mehr selbst betrügen kann.
Ihre Hände trafen sich auf dem Tisch. Dann, langsam, zog Helga ihre zurück und schüttelte den Kopf.
„Verflucht!“ Corinth ballte die Fäuste. (Könnten wir doch mehr über uns selbst herausfinden! Eine anwendbare, funktionierende Psychotherapie, das ist es, was wir brauchen!)
(Vielleicht dauert es nicht mehr lange. Es wird daran gearbeitet.) Besänftigend: „Und wie kommst du voran?“
„Ganz gut, glaube ich.“ (Die Sterne werden noch vorm Frühling in Reichweite sein. Aber wozu ist das gut? Was nützen uns die Sterne?) Corinth starrte in sein Glas. „Ich bin nicht mehr ganz nüchtern. Ich rede zuviel.“
„Das macht nichts, Liebling.“
Er sah sie an. „Warum heiratest du nicht, Helga? Such dir jemanden, der zu dir paßt. Du kannst mich nicht aus meiner privaten Hölle herausholen.“
Ihr Gesicht drückte entschiedene Verneinung aus.
„Du solltest mich aus deinem Leben streichen“, drängte er flüsternd.
„Würdest du Sheila aus deinem streichen?“ fragte sie.
Der Robotkellner näherte sich lautlos, räumte die Teller ab und servierte den Hauptgang. Corinth dachte unbestimmt daran, daß er eigentlich gar keinen Appetit haben dürfte. Wurden Kummer und Sorgen traditionellerweise nicht damit in Verbindung gebracht, daß man an Hunger und schlechter Gesundheit einging? Aber das Essen schmeckte gut. Essen … hm, ja, eine Art Kompensation, wie Trinken, Tagträumen, Arbeiten und was man sonst noch benennen mochte.
(Du mußt durchhalten), sagten Helgas Augen. (Was auch kommen mag, du darfst nicht den Mut verlieren – und deine geistige Gesundheit, denn das ist das Erbe
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