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Der Nebelkönig (German Edition)

Der Nebelkönig (German Edition)

Titel: Der Nebelkönig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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über die Stuhllehne und krempelte seine Ärmel
hoch.
    Einen Moment lang war Sallie
abgelenkt, denn ohne seinen dunklen Rock fiel ihr die runde Schulter des
Apothekers ins Auge, die sie vorher nur beiläufig bemerkt hatte.
    Er folgte ihrem Blick und
lächelte schmal. »Du hast noch nie jemanden mit einem Buckel gesehen, hm? Nun,
das wird dir auch kein zweites Mal begegnen. Ich bin der einzige Krüppel im
Haus.«
    Sallie senkte ihren Blick
nicht. »Ich habe Euch nicht beleidigen wollen«, sagte sie.
    Er zwinkerte. »Nun, das habe
ich auch nicht angenommen – immerhin willst du ja, dass ich dir helfe, nicht
wahr?« Dann zog er einen Hocker heran und fädelte eine Nadel ein.
    Obwohl sie sich vor ihm
fürchtete, überließ ihm Sallie ihre Hand. Er war freundlich zu ihr, aber dennoch
unheimlich, weil er so bleich und dunkel und seltsam war, ganz anders als die
anderen Männer, die sie kannte.
    »Wie ist Euer Name, Herr
Apotheker?«, hörte sie sich fragen.
    »Korben«, sagte er kurz.
    Sie erinnerte sich, dass der
Kammerherr ihn »Ben« genannt hatte. Wenn er mit dem Kammerherrn speiste, dann
war er kein Bediensteter, dachte sie. Er musste zur Herrschaft gehören. Aber
würde jemand, der zur Herrschaft gehörte, sich dazu herablassen, ein
Küchenmädchen zu versorgen? Der Apotheker wurde oft aufgesucht, das wusste sie.
In der Küche geschahen regelmäßig Unfälle, die nicht von der Küchenmamsell oder
Afrim behandelt werden konnten.
    Sie dachte darüber nach, um
sich davon abzulenken, dass der Apotheker seine Nadel durch die Wundränder
stach und den Schnitt so zierlich und säuberlich mit seinem Zwirn zusammennähte
wie die Bügelmamsell Tischwäsche flickte.
    Ihre Gedanken versiegten, und
sie überließ sich dem ziehenden, bohrenden, pikenden Gefühl in ihrer Hand. Das
helle Lampenlicht spiegelte sich auf dem lackdunklen Haar des Apothekers und
blitzte auf der Brille, die er zu dieser Arbeit auf der Nase trug.
    »Fertig«, sagte er nach einer
Weile und warf die Nadel in die Schale zurück. Er griff nach einem Verband und
sah Sallie fragend an. »Ich würde dir empfehlen, ein paar Tage keine Arbeit zu
verrichten. Der Schnitt ist zwar genäht, aber die Hand heilt schneller, wenn du
sie nicht belastest. Was sagst du?«
    Sallie lachte. Als ob sie das
zu entscheiden hatte!
    Er musterte sie mit schräg
gelegtem Kopf. Die Haltung und auch sein Blick hatten etwas von einem grämlichen
Vogel. Sallie musste wieder lachen. Ihr war ein wenig schwindelig.
    Der Apotheker verband ihre
Hand und bedeutete ihr, sitzen zu bleiben. »Du brauchst etwas Stärkendes und
etwas gegen die Schmerzen«, sagte er. »Und dann werde ich der Küche Bescheid geben,
dass du für ein paar Tage ausfällst. Das ist dir doch sicher recht?«
    Ihr war alles recht. Sie war
so müde und ihre Glieder waren mit einem Mal so matt und schwer und ihr armer
Kopf gleichzeitig dumpf und ganz nebelhaft leicht. Sie lehnte ihn gegen die
Wand und schloss die Augen.
    Es war so schön still und
ruhig hier. Das gedämpfte Klirren, mit dem der Apotheker Flaschen und Tiegel
bewegte, das leise Geräusch, mit dem etwas gerieben und gerührt wurde, das Klappern
des Löffels gegen Holz und das erdige Schaben eines Spatels auf Stein waren
nach dem Getriebe der Küche geradezu einschläfernde Geräusche. Sallie sank in
einen weichen, grauen Schlummer.
     
    Jemand rüttelte sie sanft an
der Schulter. »Trink das aus, Kind«, sagte der Apotheker.
    Sallie hob den Becher und roch
misstrauisch daran. »Was ist das?«, fragte sie.
    »Es hilft bei der Heilung und
es wird dich müde machen«, erwiderte der Apotheker. »Du wirst danach gut
schlafen und keine Schmerzen haben.«
    »Müde bin ich sowieso«,
murmelte Sallie und nippte an dem Becher. Dann leckte sie sich erstaunt über
die Lippen. »Das schmeckt ja gar nicht schlecht«, sagte sie vorwurfsvoll.
    Der Apotheker lachte. »Sollte
es das? Ich kann die Rezeptur ganz leicht verändern, dann wird es scheußlich
bitter. Wenn dir das so lieber ist ...?« Er machte Anstalten, ihr den Becher
abzunehmen.
    Sallie setzte den Becher
schnell an die Lippen, ehe er seine Drohung wahrmachen konnte. Dann seufzte sie
und gab ihm das leere Gefäß zurück. »Danke schön.« Sie machte Anstalten, sich
zu erheben, aber ihre Beine waren schwer und ein wenig wackelig, sodass sie
sich gleich wieder setzen musste.
    Der Apotheker schnalzte mit
der Zunge. »Ich schicke dich besser nicht gleich in den Schlafsaal«, murmelte
er. »Warte, Kind.«
    Sallie lehnte

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