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Der Nebelkönig (German Edition)

Der Nebelkönig (German Edition)

Titel: Der Nebelkönig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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laut. Vielleicht machte es ja doch einen
Unterschied, wenn man die Worte aussprach.
    Dieses Mal geschah etwas. Kein
heller Blitz, kein gleißendes Licht, keine schwindelerregend schnelle Bewegung,
die die Knie weich werden und die Sinne wirbeln ließ. Widerwillig, zäh,
zögernd, langsam verschob sich das Bild vor Sallies Augen, was ihr beinahe noch
mehr Übelkeit verursachte als der sonst so rasante Ortswechsel.
    Der Transport verlief wie
durch klebrigen Sirup, der sie festzuhalten versuchte wie ein Tropfen Harz eine
Fliege. Sallie rang nach Atem und sank mit weichen Knien in die Hocke, als sie
endlich angekommen war, wo auch immer der Zauber sie hingebracht haben mochte.
Als das Flimmern vor ihren Augen verging, blickte sie sich um. Es war dunkel,
beinahe so finster wie in Redzeps Keller, und einen Moment lang fürchtete sie,
irgendwo in einem der unzähligen Gänge unter dem Haus gestrandet zu sein.
    Aber dann begannen sich die Umrisse
von Möbeln und Türen aus dem Dunkel zu schälen, und Sallie fühlte einen Teppich
unter ihren Knien. Sie stand auf und tastete sich voran. Es war wichtig, dass
sie sich den Ort merkte, an dem sie gelandet war, weil hier das Wolfskopf Zeichen
sein musste, ohne das sie nicht wieder fortkonnte – außer, sie fand ein
anderes. Ihre tastenden Finger erfühlten getäfelte Wände, einen Stuhl mit
geschwungener Lehne, einen kleinen Tisch mit einer Schale Birnen, einen
Bilderrahmen an der Wand. Sallie hätte sich ohrfeigen können, dass sie keine
Kerze mitgenommen hatte.
    Ein Türrahmen, eine Tür, eine
Klinke. Mit einem erleichterten Schnaufen legte Sallie die Hand darauf und
drückte sie langsam herunter. Sie schob die Tür einen Spalt weit auf, bis etwas
Licht hereinfiel, und sah sich hastig um. Ein kleines Zimmer, nichts Besonderes.
Das Wolfszeichen schimmerte grünlich an der Wand neben einem abgewetzten
Sessel.
    Sie drückte die Tür weiter auf
und linste hinaus.
    Draußen war nichts. Sallie
rieb sich die Augen und öffnete die Tür ganz weit, aber am Ausblick änderte
sich dadurch nichts.
    Nebel erfüllte das, was dort
vor der Tür war. Dicker, wabernder, undurchsichtiger Nebel. Sallie streckte den
Arm aus und er versank in dem trüben Gewölk. Sie bewegte ihre Finger, verblüfft,
dass sie nichts Besonderes fühlte. Wenn sie die Augen schloss, spürte sie
keinen Unterschied zwischen ihrem Arm, der im Nebel steckte wie in dicker
Suppe, und dem Rest ihres Körpers. Aber für ihre Augen war ihr Arm ebenso
verschwunden wie alles, was sich sonst noch da draußen vor der Tür befinden
mochte.
    Sallie zögerte nicht länger.
Sie holte tief Luft und verließ das Zimmer.
    Im gleichen Augenblick
verschwand die Welt. Sallie stand im Nirgendwo. Sie drehte sich einmal ganz
herum, aber weder vor noch neben noch über oder unter ihr war etwas. Sie stand
auf einer festen Oberfläche und konnte hinter sich immer noch die Tür ertasten,
aber Augen, Ohren und Nase sagten ihr mit aller Bestimmtheit: Hier ist nichts,
Sallie. Geh nach Hause, ehe du am Ende auch verschwindest.
    Dann hob sie ihre Hand an die
Augen, aber erst in dem Moment, in dem sie ihre Nase berührte, konnte sie ihre
Finger erkennen. »Wie sonderbar«, sagte sie laut. Oder vielmehr glaubte sie, es
laut ausgesprochen zu haben, denn keins ihrer Worte kam bei ihren Ohren an.
»Sonderbar«, wiederholte sie. »Ich sollte zurückgehen.«
    Aber weil sie diesen guten Rat
ja nicht hören konnte, machte sie stattdessen einen Schritt nach vorne und dann
noch einen und noch einen.
    »Oh, jetzt sollte ich aber
wirklich nicht weitergehen«, sagte sie. Sie drehte sich um und ging die wenigen
Schritte wieder zurück, streckte die Hand nach der Tür aus – doch dort war
nichts. Sie drehte sich ein wenig nach rechts und links, beugte sich vor, machte
noch einen halben Schritt, dann einen ganzen – nichts. Die Tür und auch der
Raum dahinter waren verschwunden, als hätten sie nie existiert.
    Sallie umklammerte sich mit
beiden Armen, weil sie befürchtete, sie selbst habe sich auch schon in Nebel
aufgelöst oder werde es in Bälde tun. Es war tröstlich, in dieser schrecklichen
Leere den eigenen warmen, festen Körper unter ihren Händen zu spüren. Sallie
kniff sich fest in den Arm und drehte sich noch einmal mit ausgebreiteten Armen
um ihre Achse. Sie hätte gegen die Tür stoßen müssen, wenn diese noch da
gewesen wäre.
    Dann begann sie immer
geradeaus zu gehen. Irgendwann musste ja eine Wand auftauchen, an der sie sich
entlanghangeln würde, bis

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