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Der Nebelkönig (German Edition)

Der Nebelkönig (German Edition)

Titel: Der Nebelkönig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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sie schließlich die Tür wiederfände. Dies hier war
zwar ein sehr großer Turm, aber eben doch ein Turm, und somit musste irgendwo
auch eine Wand sein.
     
    Sie ging und ging und ging.
Dann blieb sie stehen und verschnaufte. »Was ist das nur für ein verrückter
Turm?«, schimpfte sie.
    Jemand lachte gedämpft. Es
klang nicht sehr fröhlich, sondern eher wütend und ein bisschen verzweifelt.
    »Nicht so verrückt wie sein
Bewohner«, sagte die Stimme.
    »Hallo«, gab Sallie unsicher
zurück. Es war merkwürdig, sich mit jemandem zu unterhalten, den man nicht
sehen konnte. Und noch merkwürdiger war es, wenn man dabei sich selbst nicht
sah!
    »Auch Hallo«, antwortete die
Stimme.
    Sallie konnte nicht erkennen,
ob ihr Besitzer laut und von weit entfernt mit ihr sprach oder leise und von
ganz in ihrer Nähe. »Wo bist du?«, fragte sie deshalb.
    »Wo sollte ich schon sein?«
Die Stimme klang missvergnügt. »Hier. Genau wie du.«
    »Das ist nicht sehr
hilfreich«, beklagte Sallie sich.
    »Wer hat behauptet, ich sei
hilfreich? Außerdem kann ich mich nicht erinnern, dich hierher eingeladen zu
haben. Wer bist du überhaupt?«
    »Sallie«, antwortete Sallie.
    »So«, sagte die Stimme. »Wer
hat dich hergeschickt?« »Niemand. Ich habe mich – hm – verlaufen.«
    Die Stimme lachte, und dieses
Mal beinahe vergnügt. »Und jetzt steckst du hier fest und fragst dich, wie du wieder
hinausfindest. Richtig?«
    Sallie musste zugeben, dass
die Stimme recht hatte. Sie streckte wieder die Hände aus und tastete umher.
»Hier war eben noch eine Tür«, beschwerte sie sich. »Es ist nicht richtig,
Türen einfach verschwinden zu lassen.«
    »Nein, das ist es nicht.« Die
Stimme schien näher zu kommen. »Aber das tut sie auch nur, um mich zu ärgern.
Verschwinden, meine ich.«
    »Hilfst du mir?«, fragte
Sallie.
    Die Stimme antwortete nicht
sofort. Dann sagte sie ein wenig mürrisch: »Meinetwegen. Gib mir deine Hand.«
    Sallie streckte die Hand aus
und stieß gegen etwas Warmes, Atmendes. Sie ließ einen erschreckten kleinen
Laut hören, denn es war keine menschliche Hand, die sie berührte. Es war
überhaupt nichts Menschliches, sondern etwas gleichzeitig Weiches und Festes,
Haariges und Struppiges, Warmes und stellenweise Feuchtes ... Sie zog hastig
die Hand zurück. »Hu«, sagte sie noch einmal.
    Die Stimme schnaubte. »Was
denn?«, sagte sie hörbar eingeschnappt. »Willst du nun, dass ich dir helfe oder
nicht? Außerdem hatte ich dich nicht gebeten, mir ins Gesicht zu packen. Du hättest
mir beinahe ein Auge ausgestochen.«
    Sallie machte
sicherheitshalber einen Schritt zurück. »Das ist eben sehr schwierig, wenn man
nichts sieht.«
    Die Stimme knurrte. »Also,
jetzt streck deinen Arm aus«, kommandierte sie, und als Sallie zögerte, der barschen
Aufforderung zu folgen, sagte sie: »Nun mach schon! Ich habe meine Zeit auch
nicht gestohlen!« Nach diesem Satz folgte eine kurze, gedankenschwere Pause,
und dann setzte die Stimme etwas kleinlauter hinzu: »Nun ja. Was man hier so
›Zeit‹ nennt.«
    Sallie kicherte und streckte
zum zweiten Mal die Hand aus. Sie spürte eine federleichte Berührung, dann
umschloss etwas Hartes, Zackiges und sehr Spitzes behutsam ihre Finger. »Schag,
wenn esch wehtut«, nuschelte die Stimme.
    Sallie schluckte. Der Zug an
ihrer Hand zwang sie dazu, ihre Füße Schritt für Schritt voreinanderzusetzen.
Sie gingen eine Weile stumm durch den dichten Nebel.
    Dann hielt ihr Begleiter an,
ohne den Griff um ihre Hand zu lösen. »Hier ischt dasch Seischen«, sagte er,
und Sallie spürte, wie etwas feucht ihre Finger berührte.
    »Wer bist du?«, fragte sie
erneut.
    »Der Hauschherr«, erwiderte
die Stimme. »Du scholltescht jetscht gehen.« Mit diesen Worten löste sich der
Griff. »Vor dir, etwa in Höhe deiner Hüfte«, sagte die Stimme.
    Sallie griff nach vorne und
ertastete das steingemeißelte Wolfskopf Zeichen. Sie zögerte. »Der Hausherr?
Was willst du damit sagen?«
    »Dass ihr alle nur hier seid,
weil ich hier bin«, erwiderte die Stimme ungeduldig. »Dass ich in diesem Haus
eingesperrt bin und mich zu Tode langweile. Dass es mir aber immer noch lieber
ist, durch den Nebel zu wandern und nichts zu sehen, nichts zu fühlen, nichts
zu denken, als dumme Fragen eines dummen Küchenmädchens beantworten zu müssen!
Geh jetzt!« Die Stimme knurrte drohend und bösartig, und ein schwerer Körper
sprang Sallie an. Sie taumelte und fiel gegen eine Wand. Zähne schnappten nach
ihr, scharf riechender

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