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Der Nebelkönig (German Edition)

Der Nebelkönig (German Edition)

Titel: Der Nebelkönig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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betrachtete ihn. »Nun ja«, sagte sie.
    Kaltrina lachte. »Und du? Was
treibst du hier mitten am Tag?«
    Sallie deutete triumphierend
auf ihren Verband. »Ich darf nicht arbeiten, sagt der Apotheker. Noch eine
ganze Woche lang nicht. Bis zum Großen Fest.«
    »Der Apotheker«, knurrte
Kaltrina. »Der muss es ja wissen.«
     
    Sallie drehte sich auf den
Bauch und stützte ihr Kinn auf. »Kaltrina?«
    »Hm?«
    »Erzähl mir von der Katzenkönigin.«
    »Ich?«, sagte Kaltrina beinahe
entsetzt. »Wieso ich? Warum fragst du nicht Uhl?«
    Sallie kratzte sich an der
Nase. »Uhl erzählt mir andauernd von ihr und dem Nebelkönig. Oder er gibt mir
Bücher. Aber sie sagen alle das Gleiche.«
    »Ja, und?«, fragte Kaltrina
gleichgültig. Sie gähnte und schloss die Augen.
    Sallie hockte sich hin und
rupfte ein Büschel Gras aus. »Ich möchte aber wissen, was die Wahrheit ist.
Das, was Uhl mir sagt, oder das andere.«
    Kaltrina öffnete ein Auge.
»Das andere?«
    »Das, was in dem anderen Buch
steht. Redzep sagt es auch. Gut, Redzep ist ein bisschen verrückt ...«
    Kaltrina lachte. »Ein
bisschen? Redzep ist so verrückt wie eine Maus, die Katzen jagt.«
    Sallie schwieg verstimmt. Der
Hohn in Kaltrinas Stimme tat ihr weh. »Er ist so alleine«, sagte sie schließlich.
    Kaltrina schnaubte. »Und was
sind wir? Deswegen sind wir noch lange nicht übergeschnappt.«
    Sallie starrte sie an.
Kaltrina war schon die Zweite, die das heute zu ihr sagte. »Wir haben doch
Gesellschaft hier oben«, widersprach sie. »Und frische Luft und Licht.«
    »Licht!«, lachte Kaltrina
erbost. »Das nennst du Licht?« Sie schüttelte sich. »Du weißt ja nicht, was das
ist. Echtes Sonnenlicht, nicht diese trübe Lampe!« Jetzt fauchte sie den Himmel
an.
    Sallie stand auf, sie hatte
genug. Warum benahmen sich heute alle so seltsam?
    »Ich gehe«, sagte sie. »Du
bist mir zu schlecht gelaunt, General Kaltrina.«
    Kaltrina riss die Augen auf.
»Wie nennst du mich?«
    »General«, wiederholte Sallie
vergnügt. »Der Apotheker hat dich so genannt. Lustig, oder?«
    Kaltrina konnte darüber nicht
lachen. »Der schwarze Ben ist ein Idiot«, sagte sie eingeschnappt. »Das darfst
du ihm gerne von mir ausrichten.« Sie erhob sich und stolzierte mit gesträubtem
Fell davon.
    Sallie sah wieder zum Turm
empor. Der Nebel wurde dichter und sank langsam und stetig auf die Dächer des
Hauses herab. Es dämmerte, als wäre nicht Mittag, sondern schon Abend. Sallie
fröstelte trotz der Wärme. Der Große Turm war kaum noch zu sehen.
    Kurz entschlossen kehrte sie
zurück ins Haus. Die Wolfsköpfe ließen ihr keine Ruhe. Ob es möglich war, mit
ihrer Hilfe den Turm zu betreten?
    Sie machte einen Abstecher in
die Küche und aß eine Scheibe Brot, die sie in einen Topf mit einem Rest
Bratensauce tunkte, der erkaltend auf der Spüle stand.
    So gestärkt lief sie hinauf in
den Steilen Gang. Auf dem Weg zur Bibliothek war ihr in einer dunklen Nische
ein Wolfskopf Zeichen aufgefallen. Ein hervorragender Platz, um weitere
Exkursionen zu unternehmen, denn hier kam so gut wie nie jemand vorbei.
    Sallie drückte sich in die
Nische und betastete das eingemeißelte Zeichen. Dieser Kopf sah genauso aus wie
alle anderen, auf die man im Haus traf. Der Wolf zog die Lefzen so hoch, dass
scharfe Zähne zu sehen waren, und seine Augen waren klein und tückisch.
    Ihre Hand über die bösen Augen
des Wolfes legend bat Sallie stumm um einen Transport in den Großen Turm, denn
sie hatte herausgefunden, dass man seinen Wunsch nicht laut aussprechen musste,
damit der Wolfskopf ihn erfüllte.
    Noch nie hatte sie gewagt, um
einen Transport zum Großen Turm zu bitten. Aber ihre kurzen Exkursionen in den
Südflügel hatten ihr Mut gemacht. Sie war bisher nicht erwischt worden, wie sie
sich an Orten herumtrieb, wo ein Küchenmädchen ungefähr so erwünscht war wie
ein Brombeerbusch auf einer Hochzeitsfeier, und das ließ ihre Angst schrumpfen
und die Neugier wachsen. Der Große Turm war das Herz des Hauses, sein Kern,
sein gleichzeitig auffälligstes und geheimnisvollstes Areal.
    Nichts tat sich, sie stand
immer noch im Steilen Gang. Sallie stieß einen erbitterten kleinen Laut aus und
nahm jetzt beide Hände, um den Wolfskopf zu berühren. Es musste ein
Wolfszeichen im Großen Turm geben, denn wie sollte man sonst hineingelangen? Es
gab keine Treppe und keine Tür, die in den Turm führte, das hatte sie schon
längst herausgefunden.
    »Sallie erbittet einen
Transport zum Großen Turm«, sagte sie

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