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Der Nebelkönig (German Edition)

Der Nebelkönig (German Edition)

Titel: Der Nebelkönig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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länger
zuhören. Bitte verbindet meine Hand und lasst mich gehen!«
    Er schrak zusammen. »Vergib
mir«, erwiderte er mit einem gequälten Lächeln. »Ich bin müde und rede nur Unsinn.«
    Sallie blickte in sein
bleiches, scharfnasiges Gesicht und fand, dass er wirklich müde aussah. Sie
nickte und sein Lächeln wurde ein wenig offener. »Darf ich dir die Hand
verbinden?«, fragte er höflich.
    Sallie reichte sie ihm
schweigend und sah zu, wie er den Verband um ihre Hand wickelte. »Eine Woche?«,
sagte sie.
    Er sah sie fragend an.
    »Eine Woche keinen
Küchendienst. Habt Ihr gesagt.«
    »Wenigstens eine Woche, ja.
Ich gebe dir ein Briefchen für Frau Lulezime mit.« Er befestigte den Verband
und stand auf. »Schreibzeug«, hörte sie ihn murmeln, als er im Nebenzimmer verschwand.
»Wo habe ich nur ...«
    Die Tür fiel zu. Sallie stieß
erleichtert den Atem aus. Der Apotheker war und blieb ihr unheimlich, obwohl er
sich ihr gegenüber überaus freundlich verhielt.
    Frau Lulezime wirkte
abgekämpft, als Sallie ihr Arbeitszimmer betrat. »Was bringst du mir?«, fragte
sie und streckte die Hand nach dem Brief des Apothekers aus. Sie entfaltete
ihn, und während sie ihn überflog, runzelte sich ihre Stirn. »So«, sagte sie nur
und musterte Sallie streng. »Nun ja. Das ist unerwartet und wenig erfreulich.
Gerade in dieser Woche brauche ich jede Hand. Das Große Fest«, erklärte sie,
als sie Sallies fragenden Blick sah.
    Das Große Fest. Sallie
unterdrückte ein erleichtertes Stöhnen. Die Küche war ein Tollhaus, wenn das
Jahresfest herannahte. Der kahle Leka war jedes Mal einem Schlaganfall nahe,
während er die Küchenhilfen und Köche erbarmungslos von hier nach da hetzte und
dabei ununterbrochen brüllte wie ein gereizter Stier.
    »Das tut mir leid«, sagte
Sallie trotzdem, denn Frau Lulezime erschien ihr jetzt schon so erschöpft, wie
Sallie sich nach dem letzten Großen Fest gefühlt hatte. Sie war damals direkt
vom Spülstein in ihr Bett getaumelt und hatte das Fest selbst vollkommen
verschlafen, obwohl es auch den Dienstboten erlaubt war, in einem Nebenraum wie
die Herrschaften zu feiern. Zumindest jenem Teil des Personals, der nicht in
der Küche oder bei den Tischen im Saal zu tun hatte.
    »Vielleicht kannst du ja bei
Tisch helfen«, sagte Frau Lulezime und wühlte zerstreut in den Papieren herum,
die auf ihrem Tisch lagen. »Du hast dich ja bei Kammerherr Krikors Gesellschaft
durchaus anstellig gezeigt.«
    Sallie knickste, weil die
Wirtschafterin das von ihr erwartete, aber sie hätte am liebsten ein Gesicht
gezogen. Bei Tisch aufwarten – das war keine angenehme Erfahrung gewesen. Nun,
beim Großen Fest wäre es sicherlich etwas anderes.
    Frau Lulezime notierte sich
etwas auf einer Liste, zog dann einige andere Listen heran und begann hier
etwas einzutragen und dort etwas anderes auszustreichen. Sallie wartete eine
Weile geduldig, dann räusperte sie sich leise. Die Wirtschafterin blickte auf
und fragte: »Ist noch etwas? Du kannst gehen, Kind.«
    Eine ganze, lange Woche ohne
Küchendienst. Sallie stand im Küchengang und fühlte sich ein wenig verloren.
Was von all dem, das ihr durch den Kopf sprang, sollte sie jetzt als Erstes
beginnen? Sie klatschte kurz und fest in ihre Hände, lauschte dem Schall, der
als Echo von allen Seiten wieder zu ihr zurückkehrte, und folgte dann dem
letzten Geisterklatschen hinaus in den Küchengarten.
    Es war warm und schwül. Der
trübneblige Himmel hing so dicht über dem Haus, dass er die Spitze des Großen
Turms berührte und zum Verschwinden brachte.
    Sallie sah eine Weile mit
schmal zusammengekniffenen Augen an den dunklen Mauern empor und versuchte das
vertraute spitzwinklige Dach des Turmes auszumachen, aber es blieb hinter
Nebelfetzen verborgen, die wie Schleier um das Gemäuer wehten.
    Sallie drängte sich durch das
intensiv nach Wärme und grünem Laub riechende Gebüsch auf den kleinen
Wiesenfleck, der versteckt hinter den Beeten und Sträuchern lag. Sie hatte
gehofft, einen ihrer Freunde dort zu treffen, und sah sich nicht enttäuscht.
    Kaltrina lag lang ausgestreckt
im Gras und schlug träge mit dem Schwanz, als Sallie durch die Sträucher
raschelte. »Um diese Zeit?«, sagte sie. »Schwänzt du deine Arbeit?«
    Sallie ließ sich neben ihr ins
Gras fallen. »Du hast es gut. Du kannst den ganzen Tag tun und lassen, was du
willst.«
    Kaltrina warf ihr einen
schrägen Blick zu. »Du meinst, ich faulenze hier nur herum?«
    Sallie riss einen Grashalm aus
und

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