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Der Nebelkönig (German Edition)

Der Nebelkönig (German Edition)

Titel: Der Nebelkönig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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an.
    Sallie spitzte die Lippen.
Nein, sie hatte nichts dagegen. Es war ungewöhnlich und erfreulich, so viel
Zeit zur Verfügung zu haben, in der sie tun und lassen konnte, was sie wollte.
So musste es sich wohl anfühlen, wenn man zur Herrschaft gehörte und im
Südflügel wohnte.
    »Meister Korben?«
    Der Apotheker steckte halb in
einem Schrank und wühlte darin herum. »Wo ist nur wieder der Puder?«, hörte sie
ihn schimpfen. »Ich müsste dringend aufräumen, das ist doch kein Arbeiten so!«
    Er tauchte wieder auf, eine
kleine Streudose in der Hand und das lackschwarze Haar zerrauft wie nach einem
Kampf. »Hast du etwas gesagt?«
    »Nein«, sagte Sallie, die
ihren Impuls schon bereute. »Nein. Doch. Ich wollte nur wissen ...« Er streute
den Puder auf den heilenden Schnitt und schnalzte unzufrieden mit der Zunge.
»Das geht so nicht weiter«, erklärte er. »Ich brauche dringend jemanden, der
mir zur Hand geht. Ständig ist jemand krank oder verletzt, und ich bin ganz
alleine. Manchmal verfluche ich den Tag, an dem ich mich dazu habe verleiten
lassen, hier zu arbeiten.«
    Er sprach zu sich selbst, als
hätte er vergessen, dass sie im Zimmer war. Sallie platzte heraus: »Warum nennt
Redzep Euch einen Verräter?«
    Der Apotheker ließ die
Puderdose fallen. Der Deckel sprang ab und der Puder rieselte heraus. Sallie
sah auf das weiße Häufchen auf dem Boden und machte: »Oh.«
    »Ja, ›oh‹«, murmelte der
Apotheker. »Du bist wirklich erstaunlich geradeheraus, Sallie. Müsste ich jetzt
eigentlich beleidigt sein?«
    »Entschuldigung«, sagte sie.
»Ich wollte Euch nicht beleidigen, Herr Apotheker.«
    Er fixierte sie nicht allzu
freundlich. »Man nennt niemanden einfach so einen Verräter, Kind. Das müsste
auch ein Küchenmädchen wissen.«
    »Ich habe Euch nicht Verräter
genannt«, verteidigte Sallie sich. »Ich habe Euch nur gefragt, warum Redzep
Euch so nennt!«
    Er wandte sich ab, aber Sallie
hatte das Lachen in seinen Augen gesehen. »Ihr macht Euch über mich lustig«,
klagte sie.
    »Nein, nein.« Er zog ein
Schnupftuch aus dem Ärmel und putzte sich umständlich die Nase. »Weißt du,
Kind, Redzep – nun, wie soll ich es ausdrücken? Redzep ist ein wenig
schrullig.«
    Das war nicht von der Hand zu
weisen. Sallie dachte an den leeren, finsteren, kalten »Thronsaal« und
schüttelte sich. »Aber er tut mir leid«, sagte sie. »Er ist so einsam.«
    Der Apotheker bückte sich, um
das Häufchen Puder aufzukehren. »Einsam. Das sind wir hier schließlich al  le,
Sallie.«
    »Aber nein«, widersprach sie.
»Ich bin es nicht, Herr Apotheker. Da sind all die Leute in der Küche. Und
meine Freunde ...« Sie biss sich auf die Lippe. Was gingen diesen kleinen Mann
ihre Freunde an?
    Er richtete sich mit einem
leisen Ächzen auf und ließ den Puder in einen Eimer rieseln. Dann klopfte er
sich den Ärmel ab, denn er war ganz staubig geworden. »Es ist nicht allzu
sauber hier«, sagte er entschuldigend. »Das gehört sich eigentlich nicht für
eine Apotheke. Du bekommst ein ganz falsches Bild, Sallie.« Er suchte schon
wieder in einem der anderen Schränke herum. Sallie seufzte erleichtert.
    »Wer sind deine Freunde?«,
fragte er.
    »Oh, niemand«, erwiderte sie
erschreckt.
    Wieder hörte sie ihn
unterdrückt lachen. »Das ist aber dumm«, sagte er vergnügt. »Niemand taugt ganz
schlecht zum Freund, weißt du?«
    Sallie kam sich ein wenig dumm
vor. »Nun ja«, gab sie zu, »so ganz niemand sind sie nicht. Es sind Kaltrina
und ihr Mann Luan. Und Uhl, der Bibliothekar.« Warum widerstrebte es ihr nur
so, die drei vor ihm zu nennen? Es fühlte sich an, als würde sie ihre Freunde
an einen Feind verraten. Verrat. Warum tauchte dieses Wort immer wieder in
ihren Gedanken auf?
    »General Kaltrina«, sagte der
Apotheker, mehr zu sich selbst als zu Sallie. »Und der gerissene Luan. Uhl, der
alte Professor, er hätte dich niemals alleine gehen lassen.« Grübelnd blickte
er auf seine Hände nieder, die Verbandzeug und eine Schere hielten, als hätte
er vergessen, was er damit anstellen wollte.
    »So sind wir alle hier
versammelt«, fuhr er scheinbar zerstreut fort. »Die alte Truppe. Wir waren
schon ein verzweifelter Haufen, was, Sarah?«
    Sallie sprang auf. Sie hatte
seit dem Zusammentreffen mit Redzep genug wirres und verrücktes Gefasel
genossen, es reichte ihr. In ihrem Kopf drehte sich ohnehin schon alles.
    »Ich weiß nicht, wovon Ihr
sprecht, Herr Apotheker«, sagte sie scharf. »Und ich mag Euch auch nicht

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