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Der Neid eines Fremden

Der Neid eines Fremden

Titel: Der Neid eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Graham
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laut: »Mal sehen, wie dir das bekommt!« Mit einigem Erstaunen bemerkte sie das fast sadistische Vergnügen in ihrer Stimme. Aber wieso nicht? Nach allem, was sie seinetwegen durchgemacht hatte, müßte sie eine Heilige sein, um sich nicht darüber zu freuen, daß er jetzt die gleiche bittere Medizin zu schlucken bekam. Er mußte gehört haben, daß sie wieder die Treppe hinuntergegangen waren, und würde wahrscheinlich glauben, sie hätten aufgegeben und wären davongefahren. Nun - er würde sich schon etwas anderes einfallen lassen müssen. Duffys Gesicht war jetzt auf der Höhe des Fensterbretts. Sie wartete darauf, daß er ihre Vermutung mit einem Schrei bestätigen würde.
      Doch irgend etwas stimmte nicht. Duffy stieß keinen Schrei aus. Kein Laut war zu hören. Sie sah, wie sich das kastanienbraune Leder seiner Handschuhe über seinen Knöcheln straffte und spannte, als er mit beiden Händen nach der Leiter griff. Dann, ebenso plötzlich, lockerte sich sein Griff. Sein Körper schien sich von der Leiter zu lösen und gleichzeitig in der Luft eine halbe Drehung zu machen, so daß sie von unten sein auf den Kopf gestelltes Gesicht sah: der Mund war ein kleiner, schwarzer Kreis in einem größeren käsebleichen, grünlich-weißen Kreis, dem Gesicht einer Ausschneidepuppe.
      Rosa stieß einen Schrei aus. Der Mann neben ihr rief: »Um Himmels willen!« Dann: »Halt dich fest, Mann.« Er begann, die Leiter hinaufzuklettern. Rosa hielt sich am Fuß der Leiter fest. Als sie oben Duffys gräßlich verzerrtes Gesicht sah, wußte sie, was er gesehen hatte. Nur der Anblick eines Todes, eines grausamen Todes zudem, konnte das Gesicht eines Menschen derart verändern. Innerlich frohlockte sie über die Zerstörung ihres Feindes.
      »Er ist tot«, schien ihr Herz zu singen. »Er ist tot!«
      Rosa streckte die Arme aus, um dem Fensterputzer zu helfen, der Duffy mit einer Hand abstützte und versuchte, ihn näher an die Leiter zu drücken, um einen besseren Halt zu haben. Einige Sekunden lang hingen die drei wie ein Trio ungeschickter Akrobaten an der Leiter. Sie hörte Duffy mit der Stimme eines alten Mannes sagen: »Ist schon in Ordnung... ich komm' schon zurecht.« Dann stürzten alle drei gleichzeitig zu Boden. Rosa hielt Duffy am Arm. Er sah in ihr strahlendes Gesicht und spürte die übermäßige Kraft ihres Körpers. Sie wirkte wie eine siegreiche Gladiatorin.
      »O Rosa...« Er schüttelte den Kopf, konnte aber nicht weiterreden.
      »Du siehst ganz schön fertig aus, Mann. Geh in die Pommesbude und ruh dich 'n bißchen aus. Wenn de nich' schwindelfrei bis', sollteste nich' auf 'ne Leiter steigen.«
      »In der Eingangshalle hab' ich einen Münzfernsprecher gesehen. Hat einer von euch Kleingeld?« Duffy klang, als habe er gerade sprechen gelernt. Er brachte die Wörter erst nach einer kurzen Denkpause hervor und betonte jedes einzelne gleich schwer.
      »Ja. Ich hab' Kleingeld. Kommst du allein zurecht?« Rosa entfernte sich.
      »Ich bin ja bei ihm, meine Süße.« Die fünf Pfund hatten sein ungestümes Temperament offensichtlich besänftigt. »Hat keine Eile.«
      »Ruf bitte die Polizei, nachdem du die Schule angerufen hast.«
      »Die Polizei? Soll ich nicht lieber einen Krankenwagen rufen? Ich meine, wenn er sich umgebracht hat?«
      »Er hat sich nicht umgebracht.«
      »Aber -«
      »Bitte, ich kann's dir nicht -« Er schüttelte den Kopf und wandte sich von ihr ab, als wolle sie ihn schlagen. »... tu einfach, was ich dir sage, Rosa.«
      Von dem karibischen Mädchen mit einem wohlwollenden Lächeln bedacht, wählte sie die Nummer der Vermittlung und bat darum, mit der Polizei verbunden zu werden. In der kurzen Zeit, bevor die Polizei antwortete, fiel ihr ein, daß sie nicht wußte, was sie erwidern sollte, wenn man sie nach Einzelheiten fragte. Duffy hätte diese Aufgabe übernehmen sollen. Jetzt sah sie ihn durch den immer noch schwingenden Plastikvorhang neben der offenen Tür mit aufgestützten Ellbogen, das Gesicht in die Hände vergraben, am Tisch sitzen. Der Fensterputzer verhielt sich bereits wie die unwichtige Nebenfigur einer schlechten Fernsehserie, stellte sich in die Tür, um jedem, der es wissen wollte, zu zeigen, daß er in dem ganzen Drama eine wichtige Rolle spielte, um gleich darauf Duffy mit einem gequälten, aber mannhaften Gesichtsausdruck auf die Schulter zu klopfen.
      Als sich am anderen Ende der Leitung eine Stimme meldete, sagte Rosa: »Ich

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