Der Neid eines Fremden
und schob Rosas Hand beiseite. Er wollte sie nicht ansehen. In der Eingangshalle hörten sie ein Geräusch, dann nahm jemand den Telefonhörer ab. Der Sergeant sprach ein paar Sätze, dann wurde der Hörer aufgelegt. Er kam in den Geschäftsraum.
»Bald wird ein Police Officer hier sein und mit Ihnen reden wollen.« Er wandte sich an Mr. Christoforou. »Haben Sie ein Zimmer, das wir benutzen könnten?«
»Mit all dem hab' ich nix zu tun, Mister«, schaltete sich der Fensterputzer ein. »Ich hab' denen nur meine verflixte Leiter ausgelieh'n. Ich hab' noch drei Jobs auf der Packington Street zu erledigen. Die ganze Zeit, die ich hier sitz' und Däumchen dreh', kostet mich Cash.« Aber die Entrüstung in seiner Stimme war nur gespielt. Seine Augen verrieten, daß er diese Situation um nichts in der Welt verpassen wollte.
»Kann nur Wohnzimmer anbieten. Is' sehr sauber.«
»Hat es nur eine Tür?«
»Sicher. Sehr privat.«
»Zeigen Sie's mir.«
Die beiden Männer verließen den Raum. Rosa dachte an den Polizisten im oberen Stockwerk, der, nur einige Jahre älter als Guy, die Leiche bewachte. Armer Kerl. Immerhin mußte er nicht hinsehen. Er könnte die Tür hinter sich zuziehen und sich auf den Flur stellen. Der Tote würde ihm nicht davonlaufen. Sie wünschte, Duffy würde etwas sagen. Dann überlegte sie sich, daß ihr triumphierendes Verhalten ihn vielleicht erschütterte. Vielleicht sogar beschämte. Auf jeden Fall konnte es nicht falsch sein, ihren Triumph ein wenig zu dämpfen, bevor sie mit der Polizei sprach. Nicht, daß sie irgend etwas mit seinem Tod zu tun hätte, aber dennoch ...
Sie saßen da wie Schauspieler, die auf ihr Stichwort warten. Der körperlichen Anwesenheit der anderen Leute bewußt, doch vollkommen in ihre eigenen Gedanken versunken, in Erwartung dessen, was noch auf sie zukommen würde. Rosa fragte sich, ob sich die für diesen Fall verantwortlichen Beamten mit der Polizei in Camden Town in Verbindung setzen würden, bei der sie die telefonischen Morddrohungen gemeldet hatte. Wahrscheinlich würde das per Computer geregelt. Sie kostete das Gefühl aus, in Sicherheit zu sein. Ein Gefühl, das sie ihr ganzes Leben für selbstverständlich gehalten hatte, das sie aber nie wieder für selbstverständlich halten würde. Es war so eindringlich, daß es sie in Hochstimmung versetzte. Sie fühlte sich, als wäre sie high. Zwei weitere Wagen fuhren vor, von denen nur einer als Polizeiauto gekennzeichnet war.
Einige Männer und eine Politesse stiegen aus. Nur zwei der Männer waren uniformiert. Zusammen mit der Politesse blieben sie draußen stehen, während die anderen Männer auf den Imbiß zukamen. Der Sergeant kam von hinten in den Raum gerannt und entriegelte die Tür.
»Guten Tag, Sir.«
Die kleine Gruppe von Polizisten löste sich auf. Ein großer, grauhaariger Mann mit eingefallenen Wangen und einem breiten, schmallippigen Mund trat hervor. Ertrug einen schwarz-weiß-karierten Mantel und einen weichen, dunklen Hut, den er jetzt absetzte.
»Sergeant. Worum geht's?«
Sie folgten dem Sergeant durch den Vorhang. Rosa konnte nur seine Antwort hören: »Ein Klingenkünstler, Sir«, bevor sie die Treppe hinaufgingen.
Police Constable Farley hörte sie kommen. Stampfende, autoritäre Schritte. Er richtete sich auf und baute sich in offensichtlicher Wachhaltung vor der Tür auf. Er hoffte, sein Gesicht wäre nicht schweißnaß. Erst vor einigen Minuten hatte er es abgetrocknet, doch sobald er sich die Szene in dem Zimmer vorstellte (und er hatte nichts anderes im Kopf), brach ihm erneut der Schweiß aus. Vielleicht würde er vor der Tür stehenbleiben können. Er betete, daß er nicht wieder hineingehen mußte. Wenn das der Fall wäre, würde er einfach nicht auf das Bett gucken. Zum Glück würde er die Leiche nicht berühren müssen. Es sei denn, er müßte helfen, sie fortzutragen. Sein Magen geriet in Aufruhr, und er versuchte den Brechreiz zu unterdrücken. Während seiner Ausbildung hatte er Fotos gesehen. War mit Attrappen umgegangen. Er wußte, was ihn bei der Polizei erwartete. Er hatte sich darauf eingestellt, nicht ein ganzes Leben lang alten Damen über die Straße zu helfen. Aber in der Wirklichkeit war alles anders als auf den Fotos. Eine Leiche hatte einen seltsamen Geruch und eine gräßliche Farbe. Sie lag nicht einfach da, um sich untersuchen zu lassen, sondern hob sich von der Umgebung ab, grub sich in die
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