Der Neid eines Fremden
Sein Wagen und seine Leiter standen in der Nähe des Eingangs.
Neben der Druckerei war Lamb's untergebracht: »Alles für Baby und Kleinkind«. Das Gebäude war grün und butterblumengelb gestrichen, und im Schaufenster lagen kostspielige Kinderkleidung und etliche Plastikspielzeuge aus. Daran schloß sich eine bescheidene Kunsthandlung an, die gerahmte Landkarten, Ölgemälde und Pinsel zum Verkauf anbot. Im letzten Gebäude war unter einem Firmenschild mit Palmen und silbernen Fischen die Oasis Fish Bar untergebracht.
Nach einem kurzen Augenblick des Schweigens meinte Duffy: »Gütiger Himmel. Wieder einmal hat die weibliche Intuition über den männlichen Mangel an Zuversicht gesiegt.« Er sah nach oben. »Über dem Geschäft sind zudem noch Wohnungen. Glückwunsch.« Er öffnete die Wagentür. »Na los... was ist mit dir?«
Rosa starrte durch die Windschutzscheibe auf ein mit ordentlichen Vorhängen ausgestattetes Schiebefenster oberhalb des Fischimbisses. Es wirkte fast wie das Fenster einer Kinderzeichnung oder eines Puppenhauses. Die Vorhänge waren so symmetrisch drapiert, daß es ihr vorkam, als seien sie auf das Glas gemalt. Die Gardine, weder weiß noch grau oder beige, sondern eine unangenehme Mischung aus allen drei Farben, ging genau bis zur Mitte des Fensters und bewegte sich ebenfalls nicht. Es herrschte Totenstille. Totenstille in einer Sackgasse. Sie konnte nicht aufhören, es anzusehen. Sie hörte, wie Duffy etwas sagte, dann erschien eine Hand vor ihren Augen, verschwand, kam wieder. Sie hätte alles gegeben, um die Zeit zurückdrehen zu können. So wie vor fünf Minuten zu leben, als sie noch nicht gewußt hatte, daß es dieses Fenster gab. Sie schloß ihre Augen. Es machte keinen Unterschied. Das Fenster drängte sich ihren Gedankenbildern auf. Sie wandte den Kopf und sah Duffy an.
»Was in Gottes Namen ist mit dir los?«
Ihr fiel nichts Sinnvolles ein, was sie hätte sagen können. »Prickeln im Finger ...« Er mußte sie für dumm und sentimental halten. Sie wollte den Wagen nicht verlassen. Was immer auch geschehen mochte, sie würde nicht näher an das Fenster gehen als jetzt. »Geh du, Duffy. Ich fühl' mich nicht wohl. Wahrscheinlich liegt das an dem Fisch und den Pommes frites.«
»Unsinn. Ehrlich, Rosa, du bist durchschaubar wie ein Kind.« Seine schlechte Laune war verflogen. Er streckte den Arm aus und nahm ihre Hand. »Dir ist nicht übel, sondern du hast Angst. Wieso meinst du, daß dies die Wohnung ist, die wir suchen?«
Sie schüttelte den Kopf. Sie war unfähig, auch nur ein Wort zu sagen. Es war, als würden die Wörter - sobald sie ausgesprochen wären, vernehmbare Manifestationen dessen, was schließlich nur eine Vermutung war - ihre Befürchtungen auf schreckliche Weise wahrmachen. Wenn sie nichts sagte, würden sie sich vielleicht als grundlos erweisen.
»Hör zu, Liebling. Wir haben den ganzen Tag damit verbracht, nach diesem Ort zu suchen.«
»Ja, ich weiß. Mir ist nur nicht klar gewesen ... wie es wirklich sein würde ...«
»Ist es in Ordnung, wenn du im Wagen sitzenbleibst?«
»Ja.«
Sie sah ihm nach, als er den Platz überquerte und in den Imbiß ging. Sie versuchte, ruhiger zu atmen. Gleichmäßig und gelassen durchzuatmen. Kaum zu glauben, daß es draußen kalt war, so stickig war die Luft im Wagen. So drückend. Sie löste den Sicherheitsgurt, verriegelte die Tür, reichte zur Fahrerseite hinüber und tat dort dasselbe. Es war unsinnig, sich auch nur im geringsten zu fürchten. Sie saß sicher in einem abgeschlossenen Wagen auf einem offenen Platz, der von Gebäuden voller hart arbeitender Menschen umgeben war, die ihr nichts Böses wollten.
Duffy brauchte lange. Sie sah auf die Digitaluhr an seinem Armaturenbrett. Sie würden es gerade noch schaffen, die Kinder abzuholen. Sie schloß die Augen und konzentrierte sich auf ihren Atem. Sie begann zu zählen. Eins... zwei... drei... Offensichtlich hatte das Zählen einen beruhigenden Effekt. Das Herzklopfen ließ ein wenig nach. Sie atmete gerade bei sieben aus, als jemand an der Fahrerseite an die Scheibe klopfte. Die Luft blieb ihr im Hals stecken und sie starrte mit weitaufgerissenen Augen in ein junges männliches Gesicht, das nur wenige Meter von ihr entfernt war. Er trug eine Kappe, so daß sie seine Haarfarbe nicht erkennen konnte. Wie der Klempner. Genau wie der Klempner.
Während sie ihn anstarrte, kam er näher und drückte sein Gesicht
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