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Der Neid eines Fremden

Der Neid eines Fremden

Titel: Der Neid eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Graham
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Augenhöhlen, brannte sich ins Gedächtnis ein.
      Sein Sergeant, der als erster das Zimmer betreten hatte, sagte: »Verdammte Scheiße.« Hätte er den wahren Sachverhalt beschreiben wollen, hätte er es nicht besser ausdrücken können.
      Chief Inspector Pharaoh sah zu, wie der junge Polizist die aufgebrochene Tür anhob und zur Seite stellte. Er bemerkte, daß sein junger Kollege blaß um die Nase war und seine Augen auf den Boden gerichtet hielt, und fragte sich, ob er vor fünfunddreißig Jahren genauso ausgesehen hatte. Er betrat den Raum. Gegen das, was sich seinem Blick bot, war eine Metzgerei harmlos. Der Pathologe schob sich an ihm vorbei und ging auf das Bett zu. Er ging mit dem Mädchen so vorsichtig um, als könne es noch etwas spüren.
      Pharaoh ging im Raum umher. Er machte, gelinde gesagt, einen kargen Eindruck. Nicht auf erholsame Weise, als habe der Bewohner aus emotionalen oder ästhetischen Gründen auf jegliche Dekoration und ansprechende Gegenstände verzichtet, sondern er wirkte einfach schäbig: ein Raum, den ein geiziger Vermieter nur unzureichend möbliert hatte. Neben der Tür war ein Regal mit unglaublich schmutzigen Büchern angebracht. Das Zimmer war aufgeräumt, nur das Bett, das Zentrum des Sturms, war zerwühlt. Eine Wand war mit Fotografien bedeckt. Viele der Gesichter waren mit rostbraunen Flecken bespritzt, als seien die Dargestellten aus unerfindlichen Gründen von der Pest heimgesucht worden. Die Wand hinter dem Bett war an einigen Stellen so sehr mit rostroten Flecken übersät, daß man die Tapete nicht mehr erkennen konnte.
      Pharaoh sah auf seine Uhr. Die Beamten von der Spurensicherung (eigentlich eine unzutreffende Bezeichnung, da die meisten in Zivil waren) müßten bald hier sein. Vom Fenster aus sah er seine Männer die Ladenfassade und den Bürgersteig absperren. Aus der Fabrik gegenüber kamen bereits die Schaulustigen. Er wandte seine Aufmerksamkeit dem Bett zu.
      Schwer zu sagen, wie alt sie war, oder ob sie hübsch gewesen war. Ihre Nase war in der Mitte aufgeschlitzt, und die Nasenflügel waren so zur Seite gedrückt worden, daß elastische Sehnen und blutiges Fleisch zu sehen waren. Sie war nackt und lag mit leicht gespreizten Beinen auf dem Rücken. Das blutbespritzte Bettzeug war zerwühlt und ineinander verknotet. Sie sah aus wie eine Märtyrerin auf einem italienischen Heiligenbild des sechzehnten Jahrhunderts, die ihren Tod durch Tausende von Schnitten widerspruchslos hingenommen hatte. Der Pathologe schob einen ihrer Oberschenkel leicht zur Seite und wies Pharaoh auf ein herabhängendes silbernes Gewebteilchen hin.
      »Sieh dir das an, Alan. Hier hat's mehr Lust gegeben als sonstwas. Am besten konzentrierst du dich darauf.«
      »Gar nicht angenehm.« Obwohl sich Chief Inspector Pharaoh über die indirekte Kritik ärgerte, ließ er sich nichts davon anmerken. »Seit wann ist sie tot?«
      »Das ist schwer zu sagen. Der Autopsiebericht wird einen genaueren Zeitpunkt ergeben. Jetzt ist das Zimmer abgekühlt, und es scheint keine Heizung zu geben. Andererseits liegt es über dem Geschäft, und wenn dort Betrieb ist, wird sich die Wärme sicherlich auf die Temperatur in diesem Zimmer auswirken. Ich schätze, der Tod liegt an die achtundvierzig Stunden zurück.«
      Pharaoh nickte. Die Männer von der Spurensicherung waren gerade eingetroffen, zogen sich Handschuhe an und gingen an die Arbeit; sie nahmen Proben, beschrifteten und katalogisierten sie: eine gründliche Untersuchung des Zimmers. Als er hinausging, schälten sie gerade mit einem scharfen Instrument einige Streifen der rostbraunen Tapete ab.
      Im Erdgeschoß kam der Sergeant auf ihn zu: »Mr. Christoforou hat uns sein Wohnzimmer angeboten, Sir.«
      »Ist er der Besitzer?«
      »So ist es, Sir.«
      »Mit ihm werde ich zuerst sprechen. Und würden Sie Police Constable Bazely bitten, zu mir zu kommen?« Als er Mr. Christoforous Wohnzimmer betrat, zuckte er leicht zusammen, denn der Kontrast zwischen dessen vulgärem, üppigem Prunk und der kargen Leichenhalle darüber war zu groß. Er zog einen mit goldenen Fransen behan-genen Sessel zu sich heran, schob ihn vor das Sofa und stellte einen niedrigen Couchtisch aus Onyx dazwischen. Als Police Constable Bazely hereinkam, deutete er auf einen Barhocker an der Cocktailbar. Der Constable nahm Platz und legte sein Notizbuch auf die Bar. Chief Inspector Pharaoh nickte dem Sergeant zu, der wartend an der Tür stand. Er ging

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