Der Neid eines Fremden
nach ihrem Portemonnaie suchte, begann Rosa, sich ein wenig besser zu fühlen. Vielleicht würden sie Mrs. Jollit ja doch nicht treffen. Sie war spät dran - um halb zehn hätte sie kommen müssen, und jetzt war es bereits zwanzig vor zehn. Sie wollte gerade die Treppe hinaufgehen, als das Telefon klingelte.
Ihre erste Reaktion war Angst. All ihre Befürchtungen stürzten wieder auf sie ein, bis sie sich daran erinnerte, daß sie die Telefonnummer hatte ändern lassen. Sie lief ins Eßzimmer.
»Hallo?«
»Mrs. Gilmour? Ich bin's.«
»Oh, Mrs. Jollit. Fühlen Sie sich nicht wohl? Ich hab' mich schon gewundert, wo Sie bleiben.«
»Ich bin zuhause, wo ich in Sicherheit bin. Und hier werde ich auch bleiben.«
»Wieso? Was ist los?« Als ob sie das nicht wüßte. Der feindselige Fleck breitete sich weiter aus, brachte jetzt außer familiären Verstimmungen auch noch Unannehmlichkeiten mit sich.
»Na ja - ich hab' Ihnen doch von diesem Krebsgeschwür erzählt, das ich habe.«
»Ja.«
»Ich hab' diese Sendung im Fernsehen gesehen. Sie meinten, eine der Hauptursachen für Krebs wäre Streß. Nun ja, da ich für diese Krankheit so anfällig bin, muß ich offensichtlich alle Situationen vermeiden, in denen ich mich aufregen könnte. Verstehen Sie, was ich meine, Mrs. Gilmour?«
»Oh, ja.«
»Ich meine, ich könnte zu Ihnen rüberkommen und dort im Bett ermordet werden.«
»Er ist nicht in unserem Haus. Fenster und Türen sind fest verschlossen, das Haus ist also ziemlich sicher.« Und, fügte sie für sich hinzu, er ist nicht hinter dir her. »Ich wünschte, Sie würden es sich noch einmal überlegen. Ohne Sie bin ich wirklich aufgeschmissen.«
»Und ich muß an Albert denken. Ich kann nicht einfach losrennen und mir eine schreckliche Krankheit einfangen, nur weil Sie ohne mich in Schwierigkeiten kommen könnten. Ich werde wieder zu Ihnen kommen, sobald sie ihn gefaßt haben.«
»Machen Sie sich darüber keine Gedanken.«
»Wie bitte?«
»Ohne Putzhilfe komme ich nicht zurecht, deshalb werde ich mir jemanden über eine Vermittlungsagentur besorgen. Die zweifellos astronomischen Gebühren werde ich von Ihrem Lohn abziehen.«
»Mir steht noch ein Wochenlohn zu!«
»Nicht, wenn Sie nicht eine Woche vorher kündigen. Auf Wiederhören.« Rosa knallte den Hörer auf die Gabel. Sie wandte sich Kathy zu. »Tut mir leid, mein Schatz, aber Mrs. Jollit kann heute nicht kommen, deshalb müssen wir ein bißchen Ordnung machen, bevor wir losgehen. Wirst du ein braves Mädchen sein und mir helfen?«
»Was soll ich machen?«
»Du könntest dein Bett und das von Guy machen. Ich werde anfangen zu spülen.«
Als Kathy im oberen Stockwerk verschwunden war, stellte Rosa das Wasser an, stapelte das Geschirr in der Spüle und holte die Flasche mit dem Spülmittel hervor. Sie zielte wie mit einer Pistole auf das schmutzige Frühstücksgeschirr und feuerte mit aller Kraft ab.
Sobald sie zu reden begann, wußte er, daß alles in Ordnung war. Zumindest für den Moment.
»Ich weiß, daß du mich gebeten hast, dich nicht zuhause anzurufen, mein Schatz, aber heute abend werde ich etwas später von der Arbeit kommen, und ich will nicht, daß du bei diesem Wetter auf mich wartest. Ich hab' mir gedacht, wir könnten uns in unserem kleinen Cafe treffen.«
Er fragte sich, welches Cafe sie meinte. Ihre Sentimentalität war unerträglich. Jeder Ort, an dem sie mehr als einmal gewesen waren, wurde zu »ihrem« Cafe, Pub oder Restaurant.
»Warum kannst du erst später kommen?«
»Das würdest du wohl gern wissen, was?«
Gott im Himmel. Natürlich würde ich das gern wissen, du dumme Kuh. Warum würde ich dich sonst wohl fragen? Mit mädchenhafter Stimme flötete sie ihm zu: »Im Donatello. Ich muß auflegen; ich bin mit meiner Arbeit in Verzug.«
Versuchen kann man's ja mal, dachte er verstimmt. »Du klingst sehr aufgeregt, Sonia'. Was ist los?«
»Ich erzähl's dir heute abend. Das versprech' ich dir.«
»Und ich verspreche dir, daß ich heute abend nicht kommen werde, wenn du's mir jetzt nicht erzählst.«
Schweigen. »Naja - Madame hat eine Morddrohung bekommen. Eine echte Morddrohung. Auf Band. Ich hab' Stunden mit der Polizei verbracht. Jetzt weiß ich, was es heißt, in die Zange genommen zu werden.«
Das kurze Aufflackern der Angst war rein instinktiv; seine Vernunft befahl ihm, sie zu unterdrücken.
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